Neustart
Belen baja
Es ist noch nichts los, als ich auf dem Weg zum Frühstück über den Bulevard gehe. Auf der Terasse vom Dawn on the Amazon sitzen ein paar Amerikaner - es sind tatsächlich meistens Amerikaner. Daneben werden ein paar andere Touristen von Guias und Verkäufern unterhalten. Jeder will etwas verkaufen sei es eine Tour in den Dschungel oder ein paar Handarbeiten. Es ist schwierig, ins Geschäft zu kommen, aber ich empfinde es dieses mal weniger aufdringlich als andere Male. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich bereits seit bald zwei Wochen hier bin und man mich inzwischen kennt,
Die Amerikaner sind übrigens mehrheitlich wegen den Ayahuasco-Retreats hier, von denen es auf der Strasse nach Nasca einige neue gibt, wie mir May erzählt hat. Ayahuasca ist DIE Dschungel-Droge, oder einfach die stärkste Medizin des Regenwaldes. Viele kommen hierher, um einen Trip zu erleben, von Krankheiten geheilt zu werden oder um sich selber zu finden oder zu verlieren. Wer darüber mehr wissen will, findet jede Menge Informationen und Erlebsnisberichte im Internet.
Während ich mein leichtes Frühstück (desayuno ligere) geniesse, kommen langsam die Verkäufer mit ihren Eiskübeln angekarrt. Sie sind schwer, denn darin verstecken sich Erfrischungsgetränke und ganz viel Eis.
Am Nebentisch versucht Lito, eine Frau mit ihren zwei Töchtern für einen Ausflug nach Belen zu überzeugen, als er mich entdeckt.
Lito ist einer der Guides, dem ich während der Pandemie ein wenig geholfen habe. Früher hat er Touristen im Markt von Belen angesprochen und eine Führung durch die Vielfalt angeboten Das war für Leute ohne Erfahrung sehr nützlich, denn er wusste nicht nur, wo man was findet und wo die interessantesten Waren angeboten werden, er war auch ein Schutz gegen Langfinger,die es in so einem Gedränge immer gibt. Wenn ich mit einer Gruppe unterwegs war, gesellte sich jeweils auch ein uniformierter Polizist dazu. Auch das als Schutz. Am Schluss freute der sich dann über einen kleinen Obolus. Lito hat mich auch oft durch den Schamanenmarkt geführt und erklärt, wozu die verschiedenen Medikamente und Tinkturen natzlich sind. Dass seine Ratschläge auch mal falsch lagen, hat eine Freundin bei unserem letzten Besuch entdeckt. Wobei es vielleicht auch an der gegenseitigen Verständigung lag.
Jedenfalls hat mir Lito schon oft die verschiedenen Fische erklärt, die Suri gezeigt oder die Marktfrauen dazu gebracht, mir unbekannte Früchte zum probieren anzubieten. Und meistens endete der Marktbesuch mit einer Bootsfahrt im unteren Teil von Belen. Dort wo man allein nicht hin gehen sollte. Zu gefährlich, Mich hat sogar einmal ein Polizist zurück geschickt, als ich vom Markt her die Treppe in den unteren Teil ging. Bewusst hatte ich damals nichts dabei. ausser der kleinen Kamera und ein paar Noten in der Hosentasche. Keine Uhr, keine Handtasche, die man mir entreissen konnte. Doch es half nichts, ich musste zurück. Mit Lito ging ich ein paar Tage später genau den gleichen Weg noch einmal und kam hinunter zum Fluss wo sein Kollege mit dem Boot wartete.
Jetzt nach der Krise, wo der Markt von Belen seine Attraktivität erst wieder neu aufbaut und die Touristen nicht automatisch dorthin gehen, hat Lito seinen Standort zum Bulevard verlegt. Das heisst, unterhalb der Mauer, gleich neben dem Floss-Restaurant, wo ich vor ein paar Tagen mit Keyla und May mit Familie einen ruhigen Nachmittag verbracht hatte, liegen ein paar Boote.
Wir fahren hinaus auf den Fluss Itaya und kaum sind wir vom Ufer entfernt, benutzt Lito die Gelegenheit, mir noch einmal innigst zu danken. Er wüsste nicht, wie er die schimmste Zeit überstanden hätte. Natürlich würde er mir für unsere Fahrt heute nichts verlangen.
Bald erreichen wir die ersten Häuser von Belen, dem schwimmenden Dorf. Jetzt in der Trockenzeit ist der Fluss tief, die Häuser liegen auf ihren Flossen auf der Erde. Manche etwas schief, grad so wie der Fluss sie abgelegt hat. Wenn dann im November das Wasser wieder steigt, werden die Häuser schwimmen, die Strasse überschwemmt und die Häuser, die jetzt auf Stelzen stehen, aus dem Wasser ragen.
Auch Lito hat früher in einem dieser schwimmenden Häuser gewohnt. Und er hat mich mit meinen Freunden auch schon in sein Heim eingeladen. Letztes mal, im Januar 2020 meinte er aber, dass sein Haus kaum Besuch ertragen würde, zu schief und fragil sei es geworden. Damals wusste er aber schon, dass er in eines der neuen Häuser ziehen würde, das die Regierung den Bewohnern von Belen zur Verfügung stellte. Man wollte anscheinend den Familien zu einem besseren Lebensstandard verhelfen und wer sich dafür interessierte, bekam gratis eine neue Unterkunft. Inzwischen wohnt Lito in einem der neuen Häuser an der Strasse zum Flugplatz. Es sei zuerst eine grosse Umstellung gewesen, aber inzwischen hätte er sich daran gewöhnt.
Die Kirche, die jetzt auf stabilen gemauerten Stelzen steht, habe ich auch schon komplett bis zum Boden im Wasser stehen sehen.
Wir fahren entlang dem Ufer. Auf der rechten Seite kann man hinten die neue Markthalle erkennen, die allerdings noch nicht in Betrieb ist. Es scheint, dass die Händler noch nicht einziehen wollen. Vielleicht ist sie zu teuer, so ganz genau verstehe ich den Grund nicht.
Den alten Markt in die neue Markthalle zu verlegen, war schon im Januar 2020 ein Ziel, es scheint, dass die Pandemie nicht geholfen hat, die Pläne umzusetzen.
Ich weiss von früher, dass es irgenwo im linken Stadtteil eine kleine Wasserlache hat, wo die Victoria Regia wächst. "Können wir dorthin gehen, wo die Victoria Regia blüht?"
Lito weiss natürlich genau, wo ich meine und so verlassen wir das Boot an der Stelle wo die Boote von der anderen Seite übersetzen. Wir gehen die Hauptstrasse entlang und erreichen bald das einfache Haus, hinter dem die wunderschöne Victoria Regia, die riesige Seerose blüht. Leider liegt auch viel Schutt da und die Bretter, über die ich zum kleinen Floss komme, sind sehr wackelig. Es ist fast eine Mutprobe, sich von Pfosten zu Pfosten auf dem schwankenden Brett zu hangeln. Aber die Blume ist wunderschön. Beim Abschied gebe ich der Besitzerin des Hauses ein kleines Trinkgeld. Bitte sie aber, den ganzen Schutt und die Plastikflaschen zu entfernen, denn das würde viel schöner aussehen. Ausserdem sollte sie sich doch bemühen, den Steg etwas sicherer zu machen. Es würden dann auch eher Touristen herkommen.
Sie versichert mir, dafür zu sorgen, dass die Flaschen verschwinden und ich verspreche ihr, dass ich in ein paar Tagen noch einmal herkommen werde. Vielleicht muss man das den Leuten tatsächlich sagen, denn sie haben den Blick nicht dafür.
Auf dem Rückweg fällt mir bei einem gemauerten Haus auf, dass man sich für ein Fest bereit macht. Natürlich will ich wissen, was da gefeiert wird. Hochzeit?
"15. Geburtstag meiner Tochter", erklärt mir der Mann stolz. Und er lädt mich ein, mich umzusehen. "Das ist das erste wichtige Fest für ein junges Mädchen", versichert mir die Mutter. "Das nächste ist die Hochzeit."
"Und dann? Was kommt dann?" will ich wissen. "Die Scheidung!" Die Antwort kommt so prompt, dass die Frau selber etwas erschrickt, dann lachen wir gemeinsam über den spontanen Einfall. Ich glaube, die beiden würden mich gern zum Fest einladen, denn es freut sie, dass ich so grosses Interesse zeige. Sie rufen sogar ihre Tochter, die im Moment noch ganz natürlich daher kommt. In ein paar Stunden wird sie ihren Auftritt als Prinzessin mit professionellem Styling haben.
Wir gehen zurück zum Hafen, wo ich noch eine Weile den Fährschiffen zusehe, die die Menschen von einem zum anderen Ufer fahren, dann kehren wir zurück zum Bulevard.
Auf dem Bulevard sehe ich noch einen Weile den Leuten zu, wie sie flanieren, Foto-Shootings machen, oder einfach nur da sitzen, warten bis jemand vorbei kommt und etwas kaufen, oder etwas anbieten wird. Je nachdem welcher Seite man angehört.
Als der Mann mit den Kokosnüssen vorbei kommt, lasse ich mir eine öffnen und geniesse den kühlen Saft. Immer wieder fein.
Am Abend schaue ich noch kurz bei Victoria vorbei, kaufe einen wunderschönen Makramee-Schmetterling und geniesse dann auf der anderen Strassenseite im Karma-Cafe einen grossen Hamburger mit einer Pina colada. Es muss ja nicht immer ein Pisco sein.
Wieder geht ein Tag voller Eindrücke zu Ende.
Zum heutigen Tag habe ich ein paar Videos auf meine eigene HP gestellt.
www.bison.ch
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien