Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Hochzeit

"Was hast du für Pläne für morgen, Samstag", hat mich Keyla gestern Abend gefragt, als wir uns nach dem Radio-Auftritt getroffen haben.

"Ich treffe mich am Nachmittag mit einer Freundin". "Schade", meinte sie, "ich habe eine Einladung zu einer Hochzeit und würde mich freuen, wenn du mitkämst".

Nur kurz musste ich da überlegen, denn wie oft wird man schon zu einer Hochzeit eingeladen, und dann erst noch hier in Iquitos. Ich verschiebe das Treffen und sage zur Hochzeit zu. Zum Glück habe ich ein Kleid mitgenommen, ob das wohl festlich genug ist.

Die Frage war nicht unberechtigt, als ich sehe, wie fein herausgeputzt Keyla daher kommt. Sogar Walter, der Besitzer des Hotels, der eigentlich keine Komplimente verteilt, hebt anerkennend die buschigen Augenbrauen, als wir uns von ihm verabschieden.

Wir fahren mit dem Mototaxi um die paar Ecken und treffen pünktlich um ein Uhr ein. Natürlich wundert mich das überhaupt nicht, dass wir die ersten sind. Das ist peruanische Zeitrechnung. Setze einen Event möglichst zwei Stunden früher an, damit die Gäste dann hier sind, wenn es anfängt.

Die Mutter der Braut empfängt uns, sonst ist erst die Musik da. Das ganze Restaurant in dem die zivile Trauung und das Fest stattfinden werden ist komplett mit weissen und roten Tüchern ausstaffiert, die Platiksessel mit weissen vornehmen Houssen überzogen, das ganze Lokal glitzert im Schein der vielen blinkenden Lämpchen.

Dass noch keine Gäste da sind, hat auch sein Gutes, denn dadurch kann ich in aller Ruhe das kalte Buffet mit den vielen kleinen Häppchen betrachten, das vorne im Saal aufgebaut ist. Gleich neben den riesigen Lautsprecherboxen und der Musikanlage.

Harry und Marthiarena wollen heute heiraten, das ist unübersehbar. Auf allen Aperohäppchen wird das verkündet, an der Wand hängen die Anfangsbuchstaben H & M. Die Braut ist eine Arbeitskollegin von Keyla, sie haben eine Weile zusammen in der Bank gearbeitet Und jetzt kommt grad ein verzweifelte Message, einer der neuen weissen Schuhe, hat den Absatz verloren, was soll die Braut jetzt machen?

Wer kümmert sich schon um deine Schuhe, wenn du glücklich aussiehst, bestimmst hast du noch ein paar andere weisse Schuhe, mailt Keyla zurück. Und tatsächlich, kurz darauf die Erlösung, das Foto von weissen Sandalen. Solche Aufregungen gehören wohl zu jeder Hochzeit einfach dazu. Gäste sind zwar noch immer kaum hier und sogar Keyla meint etwas zweifelnd, dass man die Standesbeamtin auf eine bestimmte Zeit aufbietet und dass die wohl kaum den ganzen Nachmittag mit der Zeremonie wartet.

Es ist schon zwei Uhr und inzwischen sind ein paar Gäste eingetroffen, die Zeremonie sollte jetzt eigentlich beginnen. Die Mutter der Braut, die die Begrüssung der Gäste übernimmt, weist die Leute an, sich zu setzen, die Braut werde gleich kommen. Die Serviertochter verteilt Coupons. Für jeden Gast ein Bier, ein Süssgetränk und ein Essen.

Und tatsächlich, draussen fährt eine blumengeschmückte weisse Limousine vor, Aus dem Lautsprecher ertönt eine Hochzeitsmelodie. Getragen und feierlich.

Es ist die stolze Patin, die den strahlenden Bräutigam über den roten Teppich führt. Er sieht gut aus in seinem dunklein Anzug mit der roten Kravatte und passender Blume am Revers. Vor allem ist er gross, grösser als der Durchschnitt der peruanischen Männer. Von Keyla weiss ich, dass seine Eltern nicht hier sind, sie leben zu weit weg für eine Reise nach Iquitos, am Rio Napo.

Die Braut kommt am Arm ihres Bruders, denn ihr Vater ist früh verstorben. Natürlich habe ich auch hier ein paar Hintergrundinformationen. Die junge Frau arbeitet bei der Bank, hat eine gute Karriere hinter sich, weiss was sie will und steht mit beiden Beinen im Leben. Darum hat sie sich bei ihrer Mutter auch durchgesetzt. Sie liebt ihren Harry, auch wenn dieser nicht ganz den Vorstellungen der Mutter entspricht, einer energischen aber äusserst sympatischen Lehrerin.

Jetzt erfahre ich auch noch etwas anderes. Keyla ist Trauzeugin und soll an der Seite des Bräutigams stehen. Der andere Trauzeuge ist dummerweise kurzfristig verhindert. Er hat von seinem Arbeitgeber, der Bank nicht frei bekommen. Also übernimmt der Bruder der Braut als Stellvertreter den Posten.

Die Standesbeamtin ist jetzt auch eingetroffen und begrüsst die Anwesenden, allen voran das Brautpaar. Bevor sie die eigentliche Trauung vornimmt, liest sie alle entsprechenden Gesetze zum Bund der Ehe vor. Artikel für Artikel mit allen Rechten und Pflichten bis zu er Möglichkeit der Scheidung. Ich verstehe nicht alles, finde diesen Brauch aber ziemlich speziell. Vielleicht ist es aber auch ganz nützlich, zu wissen, worauf man sich einlässt, auch wenn es jetzt wohl zu spät ist. Aus meiner Erfahrung heiraten junge Paare in Iquitos oft gar nicht. Kinder werden auf die Welt gebracht, die Eltern bleiben eine Weile beisammen, dann trennen sie sich und die Kinder bleiben bei der Mutter, meist im Haus der Eltern, während die Männer neue Verbindungen eingehen. Es gibt es aber auch, dass die Paare zusammenbleiben, auch ohne Trauschein. So wie Rosa, die endlich nach 23 Jahren und sechs Kindern im Dezember heiraten will.

Nachdem alle Gesetzesartikel vorgelesen sind, stellt die Standesbeamtin die entscheidende Frage: Willst du.... ? Ja, sie wollen. Beide. Laut und deutlich. Das will die Standesbeamtin aber noch genauer wissen und sie lässt die beiden das Eheversprechen nach Vorgabe noch detailliert nachsprechen.

Dann folgen ein paar Unterschriften auf einer Menge von Formularen, doch damit nicht genug, es braucht auch noch ein paar Fingerabdrucke. Braut und Bräutigam, dann muss auch Keyla ihren Finger auf das Formular drucken. Und damit ist die Zeremonie abgeschlossen, mit den unterzeichneten Formularen in der Hand grüssen sie zur ersten offiziellen Foto als verheiratetes Paar. Die Serviertochter bringt diie Piscogläser, die Musik spielt einen Walzer ab Band.

Das Brautpaar eröffnet den Tanz, dann bittet der Moderator nach und nach verschiedene Personen zum Tanz mit den beiden auf. Den Bruder, die Mutter, die Parin, die Trauzeugin, den Freund des Bräutigams, die Tante, den Onkel.

Es fehlt noch etwas. Der Bruder der Braut versucht sich mit Handzeichen verständlich zu machen und endlich versteht der Moderator: der Brautstrauss muss noch geworfen werden. Alle unverheirateten Frauen werden in die Mitte gebeten, die Braut macht sich bereit. Ein, zwei drei - drei Anläufe braucht sie, bis sie sich entschliesst, ihre Blumen über den Kopf zu werfen. Eine junge Frau ist die glückliche und als sie gefragt wird, ob sie denn einen Freund hätte, der für die Hochzeit in Frage käme, nickt sie etwas verschüchtert zum Bruder der Braut. Damit wäre das auch geklärt.

Es gibt noch ein zweites Orakel. Auf dem Aperotisch ist eine kleine Schale mit roten Bändeln. Die wird jetzt auf den kleinen Tisch gestllt und jede der Frauen soll ein Ende ziehen. Nur bei einer hängt am Ende ein kleiner Ring am Faden. Auch ihr Zukünftiger ist im Raum. Strahlt seine Freundin an. Jetzt ist alles geklärt, das Fest kann beginnen. Die Kinder fangen bereits an, vom Buffet kleine Leckerbissen zu schnausen, jetzt trauen sich auch die Erwachsenen zuzugreifen. Die Serviertochter verteilt Bier und Süssgetränke gegen die vorher abgegebenen Coupons und auch einzele Teller werden serviert.

Es gibt Gordonbleu mit Kartoffelsalat und Reis. Dass dazu nur eine Gabel gebracht wird, scheint kein Versehen zu sein, ich kann nirgens ein Messer entdecken. Ich säble, oder besser gable auf meinem Fleisch rum und irendwann schreie ich Keyla ins Ohr, dass diese Gabeln einfach schlecht schneiden. Sie schaut mich etwas erstaunt an, versteht aber im zweiten Anlauf und muss lauthals lachen. Auch sie hat Mühe, da Fleisch klein zu kriegen. Gehört hat uns übrigens niemand, denn die Musik hat vom sanften Wiener Walzer zu rockigeren Tönen umgestellt und sie ertönt aus den grossen Boxen fast in Überschall.

Auch bei der Zeremonie gab es übrigens eine extralaute Rückkopplung der Anlage, gerade da wo die Standesbeamtin den Namen des Bräutigams sagte. Ich glaubte schon, dass das Haus explodieren würde, aber der Techniker bekam die Sache ganz schnell wieder in den Griff und mit weniger lauten Rückkopplungen konnte die Trauung vollzogen werden.

Keyla und ich teilen übrigens das erste Bier und schon bald stellt uns Harry ein zweites hin. Ja, er hat eine Zeit als Kellner gearbeitet, weiss Keyla und jetzt zeigt er seine Fähigkeiten. Verteilt Getränke, räumt leere Flaschen ab, bringt Essen und hat alle Tische perfekt im Griff, während die Serviertochter meistens ziel- und planlos den Tischen entlang geht.

Harry rockt das Ding, er ist der Chef, kümmert sich nicht um irgendwelche Coupons, er will, dass seine Gäste zufrieden sind. Und die Braut? Es scheint, dass die hinter den Kulissen bei der Essensausgabe den Ablauf koordiniert. Manchmal kommen die beiden nach vorne, stehen für Fotos zur Verfügung. Mit jedem Tisch werden sie reihum einmal fotografiert, dann geht es zurück an die Arbeit. Ich glaube, die beiden geben ein gutes Paar ab. Sie arbeiten jedenfalls Hand in Hand. Ich glaube mittlerweise hat Harry vergessen, dass er der Bräutigam ist. Auch ihm ist heiss und er hat sich längst seiner Kravatte und seinem Kittel entledigt. Die beiden würden gemeinsam bestens ein Restaurant leiten.

Inzwischen sind auch an unsere Tisch noch ein paar Gäste eingetroffen und Keyla versucht mir etwas zu sagen. Aber ich verstehe kein Wort, auch als sie mir in einer Zehntelssekunde, bevor ein neues Stück gespielt wird, ins Ohr schreit. Die beiden Sänger und die Sängerin hinter dem Buffet geben ihr bestes, die Leute tanzen, wer will da schon reden?

"Alle an unserem Tisch arbeiten in der Bank," lese ich im WhatsApp. Ach so, das war es, was mir Keyla mitteilen wollte. Ich nicke ihr zu und wir müssen beide lachen. "Macht es dir was aus, wenn ich innert den nächsten 15 Minuten nach Hause gehe?" maile ich zurück. "Nein, ich komme auch mit, Diego wartet", kommt die Antwort prompt.

Doch dann sehen wir ein Paar, das sich mit vielen Ballonen bereit macht. Es scheint noch eine Show zu geben, Ok, die warten wir noch ab.

HORA LOCA heist die Show. Die Musik wird noch einen Tick lauter, die Frauen bekommen Glitzermasken, die Männer farbige schillernde Kravatten. Alle sollen jetzt aufstehen und mit den Ballonen in der Luft rumschlagen. Dazu werden glänzende Konfettis aus einer Pistole versprüht. Eine Zeitlang mache ich mit, doch dann wird es mir endgültig zu viel. Die Hitze, der unsinnige Lärm und die vielen Leute werden mir zu viel. Wir sassen die ganze Zeit beim offenen Fenster, was für mich etwas Sicherheit und gelegentlich einen Luftzug versprach, aber jetzt in dem ganzen Getümmel finde ich die Situation doch etwas fahrlässig.

Ich gehe hinaus, sehe mir die Sache durch das offene Fenster an. Als die tatsächlich verrückte Stunde vorbei ist, komme ich wieder hinein. Keyla verabschiedet sich von der Braut, bedankt sich für die Einladung und dann sind wir draussen, suchen uns ein Mototaxi und fahren nach Hause. Auf sie wartet ihr kleiner Diego, für den sie ein paar Mash Mellows vom Buffet eingepackt hat. Im Casa Fitzcarraldo ist man auch am aufräumen, es ist kurz vor sechs Uhr, die Tagesgäste haben sich verabschiedet, das Personal sitzt noch einen Moment draussen vor der Türe zusammen.

Ich aber ziehe mich zurück. Nach einer Dusche will ich noch etwas lesen, bin aber innert kürzester Zeit eingeschlafen. Lärm und die ständige Anstrengung, alles zu verstehen, lassen meine persönlichen Batterien immer schneller aufbrauchen.

Es war aber trotzdem ein unvergessliches Erlebnis, das ich auf keinen Fall missen möchte und das in die Sammlung der besonderen Momente, die ich mit Keyla erlebt habe, aufgenommen wird.
Ich habe meine Videoaufnahmen noch nicht angesehen, eventuell werde ich etwas davon in meine eigene HP aufladen. Aber bitte Lautspreche zurückstellen!!!

www.bison.ch / Peru-Videos

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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