Neustart
Comune 13
Das wird langsam zur Gewohnheit. Bin auch heute wieder zu Fuss unterwegs. Mein Ziel ist die Comune 13. Gemäss Google war dieses Gebiet während der Zeit Escobars Kriegsgebiet von rivalisierenden Drogenbanden. Das gefährlichste Gebiet der Stadt mit täglichen Morden. Kein Fremder wagte sich in diesen Stadtteil, der am Berghang liegt und wo die ärmsten Menschen wohnten.
Heute hat sich das Gebiet komplett verändert. Es gibt Führungen zur Comune 13, der Ort gehört zu den Touristenhotspots von Medellin.
Auf dem Weg geniesse ich an einem Imbiss-Stand ein kleines Frühstück mit einem Cappuccino und einem Gebäck aus Maismehl, gefüllt mit einem Ei. Schmeckt richtig fein.
Ich bin wieder in eine neue Richtung unterwegs und merke, dass die Strasse ganz leicht ansteigt. Zum Glück gibt es auch hier wieder viele Blumen, so dass ich immer wieder Grund finde, stehen zu bleiben zum fotografieren, denn auch heute sind wieder ein paar unbekannte Blüten dabei, die ich später zu Hause ergoogeln will.
Und wieder gibt es kleine gepflegte Gärten mit zurechtgestutzten Büschen und dekorativen Mäuerchen. Medellin überrascht.
Ich merke die Steigung, komme aber ganz gut voran. Beim grossen Tulpenbaum gibt es eine lange blaue Treppe, ob ich tatsächlich da hinauf muss? Mein Plan auf dem Handy zeigt einen anderen Weg, doch auch der geht jetzt steil bergauf. Aber immerhin wird es farbiger. Die Strasse schmaler und die Mauern und Treppen sind bemalt. Ich bin froh, dass ich allein unterwegs bin, ich brauche immer wieder einen Halt, mit einer Gruppe käme ich zusehr in Stress.
Und dann ist auch die Strasse fertig. Ab hier geht es nur noch über Treppen weiter. Aber es soll doch da irgendwo eine Rolltreppe geben. Ob ich die verpasst habe? Mein GPS zeigt keine Rolltreppe an. Noch einmal lege ich einen Halt ein, warte bis meine Lunge nicht mehr aus dem Körper fahren will und dann sehe ich sie. Die Konstruktion, unter der die Rolltreppe hinauf führt. Sie ist wohl einmalig in der Welt, wurde gebaut, um den Bewohner des armen Quartiers den Zugang zur Stadt zu erleichtern, damit sie schneller hinunter und am Abend auch wieder zurück nach Hause kommen. Vor 10 Jahren wurde sie eingeweiht.
In sechs Abschnitten überwindet sie 28 Stockwerke und ich fahre ganz bequem bis hinauf zum Aussichtspunkt. Es ist wieder ein ganz anderer Blick über die Stadt, als gestern. Heute liegt der ganze Abhang mit den kleinen in einander verschachtelten Häuser vor mir. Es soll das am dichtesten besiedelte Quartier der Stadt sein mit 44 Einwohnern auf 1000 m2.
Da oben gibt es viele kleine Läden, die Handarbeiten verkaufen, Lautsprecherboxen, aus denen überlaut Musik ertönt, kleine Bars wo Bier und frische Fruchtsäfte serviert werden. Ich schlendere entspannt den Ständen entlang, setze mich beim Breaktänzer einen Moment hin und warte auf seinen Auftritt. Der ist aber im Moment grad beschäftigt, einem kleinen Jungen ein paar Schritte zu erklären.
Alles ist farbig hier, die Wände, die Restaurants, die Auslagen in den Läden, die Treppen und ich versuche möglichst viele schöne Bilder zu sammeln. Zwar spuckt die Rolltreppe immer neue Menschen aus, doch es ist noch immer sehr angenehm, überhaupt nicht überfüllt. Bestimmt sah das vor der Pandemie hier komplett anders aus.
Als es anfängt zu regnen, setze ich mich in eine kleine Bar unter die Markise und bestelle einen Grenadinesaft, sehe den Leuten zu. Die beiden vom Nebentisch tanzen zu den heissen Rythmen, es ist eine lockere Stimmung. Irgendwo tanzt eine Gruppe Jugendlicher zu den Melodien aus ihrer Musikbox, überall gibt es etwas zu sehen.
Ich lasse mir sehr viel Zeit, steige langsam wieder die Treppe hinunter und überall entdecke ich neue Bilder an den Wänden. Die meisten erstrecken sich über die ganzen Häuserwände, andere sind unter Treppen, in schmalen Gassen, hinter Blumentöpfen. Die Bilder sind fantastisch, überraschend, farbig, sprühend vor Lebensfreude oder melancholisch. Viele sind von Künstlern signiert.
Irgendwann bin ich wieder unten. Ich sehe mir die blaue lange Treppe noch einmal an und mache mich auf den Rückweg.
Am Abend gehe ich ins kleine Sushi-Restaurant, das zwei Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt liegt. Ich bin zwar der einzige Gast, aber die Sushi und Sashimi schmecken wunderbar.
Ein fantastischer Tag liegt wieder hinter mir.
Ich habe fast 50 Graffitis fotografiert, für die der Platz auf dieser Seite nicht gereicht hat. Darum habe ich sie zu einer Diashow zusammengestellt, die man auf meiner Bison-Seite sehen kann. Unbedingt aufrufen, es lohnt sich, darunter sind echte Kunstwerke.
www.bison.ch - Kulumbien-Videos
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien