Neustart
Castillo Medellin
Heute habe ich wieder ein richtiges Ziel. Das Schloss von Medellin. Bin gespannt, was es damit auf sich hat. Ein Schloss in Kolumbien scheint mich schon etwas exotisch zu sein.
Zuerst aber trinke ich einen Cappuccino beim Restaurant vor der Kirche San Joaquin, die nur ein paar Blocks von mir entfernt ist. Danach entschliesse ich mich zum Spaziergang. Wenigstens einen Teil der Strecke, die doch fast 10 Kilometer lang ist und durch einen grossen Teil im Süden der Stadt führt, mächte ich zu Fuss gehen.
Dabei begegne ich diesem riesigen Gummibaum, der seine Luftwurzeln der Erde entgegen streckt, wo sich bereits ein riesiges Wurzelwerk ausbreitet und bereits anfängt die Pflastersteine aufzubrechen. Was so ein gewöhnlicher Gummibaum für Energien entwickeln kann, wenn man ihn in seiner Entwicklung nicht einschränkt, ist schon sehr enorm.
Auch komme ich bei vielen kleinen Autowerkstätten vorbei. Im Moment haben einige neue Pneus draussen deponiert. Ob die auch einen jährlichen Pneuwechsel propagieren, so wie wir in der Schweiz. Wohl kaum, so stark sind die Unterschiede zwischen Sommer und Winter hier nicht. Im Moment ist nämlich Winter, darum regnet es fast täglich einmal. Meistens scheint aber die Sonne von einem mit vielen weissen Wolkengebilden überzogenenen Himmel. Die Temperatur ist dann gegen 25 Grad, was für mich genau ideal ist. Immer Kurzarm, keine Jacke und wenn ich nicht so lange Spaziergänge machen würde, könnte ich immer in den Flip Flops unterwegs sein.
Kolumbianer müssen Auto-Verrückt sein. Oder Motorrad. Je nach Budget wahrscheinlich. Man ist auch in der Stadt vorwiegend per Auto unterwegs. Trotz Metro. Man parkiert direkt vor der Pizzeria, kurvt durch die engen Strassen, weicht sich aus, kämpft um den Vortritt, um jeden Znetimeter. Vor allem die Motorradfahrer sind da Spezialisten. Immer noch kanpp vor dem Auto vordrängen, die kleinste Lücke ausfüllen. Manchmal kommen sie in ganzen Horden. Manche mit der Kiste am Rücken, Pizzakuriere. Fast jedes Restaurant bietet Lieferservice an.
Ich komme durch ruhige Wohngegenden mit kleinen Parks, Blühende Frangipani-Bäume in geld, weiss und rosa, Palmen, Hibiskus, Papageienblumen und Heliconias. Und überall riesige hohe Bäume, die wunderbaren Schatten geben, denn es wird schon wieder richtig warm. Die schön gepflegten Vorgärten werden sorgfältig gewässert. Überall sind Arbeiter dabei, Hecken zu schneiden, Gehwege zu kehren,
Manchmal fallen mir architektonische Kleinigkeiten auf, wie die Treppe vor dem Hochhaus mit dem geschwungenen Geländer. Oder kunstvolle Erker, Eingänge mit schmiedeisernen Gittern oder Garagentore mit geometrischen Mustern.
Mit der Zeit aber verlasse ich die Wohnquartiere, ich bin am Fusse des Cerro Nutibara, da wo ich an einem der ersten Tage hinauf gestiegen bin. Ich gehe auf einem schmalen Weg am Fusse des Hügels und merke, dass sich hier eine Sammelstelle der obdachlosen Venezulaner an die andere reiht. Möglicherweise wohnen die hier in der Nähe in den Büschen. Irgendwo komme ich an einer Feuerstelle vorbei. Was für ein Leben, hier am Rande der Gesellschaft zu vegetieren.
Immerhin hat Venezuela vor ein paar Tagen den Handel mit Kolumbien wieder geöffnet. Was aber die geöffneten Grenzen sonst noch bringen werden, traue ich mir nicht vorzustellen, die Venezulaner stehen an der Grenze bestimmt bereits Schlange, wenn ich an die Grenzstation Ecuador/Peru zurückdenke.
Die Venezulaner wurden hier in Kolumbien schon im Februar legalisiert. Gerade habe ich gelesen, dass man schätzt, dass knapp 2 Millionen Venezulaner in Kolumbien leben. Mehr als die Hälfte nicht registriert. Mit der Legalisierung sollte die Integration verbessert werden und grundsätzlich die Möglichkeit, hier zu arbeiten und zu leben. Ob das gelingt? Jedenfalls eine riesige Aufgabe. Egal wo ich bin, immer wieder werde ich von Menschen angegangen, ob ich ihnen etwas abkaufe. Kaugummis, Bonbons oder kleine Handarbeiten. Manchmal habe ich ein paar Münzen im Sack, meistens muss ich abwinken. Schwierig, damit umzugehen. Ob es richtig ist, das Denken in diesen Momenten abzustellen?
Nachdem ich den Hügel von Nutibara hinter mir gelassen habe, komme ich in ein Quartier mit riesigen Lagerhallen. Auch Altstoffhändler gibt es hier. Hierher bringen die Abfallammler ihre Beute und hoffen auf einen kleinen Verdienst.
Daneben gibt es Hallen mit Waren aller Art. Wenn die Tore offen sind, kann ich einen Blick hinein erhaschen. Meistens sind es grosse Kisten, Schachteln, Paletten. Manchmal aber auch riesige Lager von Autoteilen oder Baumaterialien.
Und davor stehen die grossen Camione, die die Waren abholen.
Ich bin hier an einer grossen Strassenkreuzung mit mehreren verschiedenen Fahrbahnen und Strassen in alle Richtungen. Dabei verlaufe ich mich ein paarmal, komme an riesigen Graffitis vorbei und bin plötzlich gar nicht mehr sicher, ob mein Navi mich überhaupt in die richtige Richtung weist. Darum halte ich nach einer kurzen Rast auf einer Bank ein Taxi an. Dieses bringt mich innert kürzester Zeit zu meinem Ziel. Da das Schloss am Hang steht, bin ich doppelt froh, dass ich nun nicht zu Fuss hinauf steigen muss.
Ein gotisches Schloss hier in Medellin mit Sicht über die Stadt ist tatsächlich etwas sehr Exotisches. Da man das Schloss nur mit Führung besichtigen kann, habe ich mich an der Kasse für die übernächste Führung eintragen lassen.
Das gibt mir noch etwas Zeit zum Verschnaufen, in der Cafeteria eine heisse Schokolade zu trinken, die Aussicht über die Stadt zu geniessen.
Bei der Führung erfahre ich, dass das Schloss 1930 nach Vorbildern aus Europa im gotischen Still gebaut wurde. Bis 1971 wohnte eine Familie in dem Haus. Vor allem die Frau, die holländische Wurzeln hatte, befasste sich mit der Einrichtung des Hauses und sammelte Kunst und Möbel, um die Räume stilgerecht einzurichten. Es ist eine Sammlung von Gemälden und Möbeln, die sehr europäisch anmuten. Dazu kommen aber auch viele Keramiken aus Kolumbien, auch aus der indigenen Kultur. Ein wunderschönes Gesamtkunstwerk, das heute einer Stiftung gehört.
Nach der Führung durch das Schloss mit seinen vornehmen Räumen und den verschiedenen Terrassen, die immer wieder neue Ausblicke hinunter auf die Stadt erlauben, schlendere ich noch eine Weile durch den Garten. Es ist ein sehr gepflege Anlage mit Rabatten aus schön geschnittenen Buchsbäumen, Strelizienfeldern, in denen Gärtner dabei sind, verblühte Blumen und Blätter zu entfernen. Ein italienischer Garten, in dem statt Rosen exotische Strelizien und Heliconien blühen. Dazu gibt es verwunschene kleine Pfade unter hohen Bäumen mit den verschiedensten Heliconien. Hohe Palmen unterbrechen die Aussicht, in den beiden Brunnen gibt es Wasserspiele, die allerdings im Moment nicht in Funktion sind.
An den Bäumen wachsen Bromelien oder Geweihfarne. Oder sie hängen in grossen Töpfen an den Ästen. Ein kleines Paradies, das hier am Hang über Medellin liegt.
Plötzlich merke ich, dass die grossen weissen Wolken schwarz geworden sind, über der Stadt baut sich ein Gewitter auf. Bereits kann ich einzelne Blitze über der Stadt erkennen und dicke Tropfen klatschen auf die Steinplatten. Am besten wird es wohl sein, zurück zu kehren, innert Kürze wird hier ein Platschregen niedergehen.
Beim Eingangstor hab ich unerwartetes Glück. Grad habe ich mir überlegt, wie ich jetzt zu einem Taxi komme, als eines vorfährt, seine Kundschaft auslädt und kurze Zeit später bin ich auf dem Weg zurück nach Laureles, meinem Stadtquartier. Und draussen geht ein gewaltiger Gewitterregen nieder.
Es war ein fantastischer Ausflug zu einem doppelt exotischen Ziel. Einerseits exotisch, weil so ein Schloss hier gar nicht wirklich hingehört, also schon darum exotisch ist. und dann waren da so viele exotische Pflanzen, dass ich mich fast wieder wie im botanischen Garten wähnte.
Später gehe ich in das kleine italiensiche Restaurant, das zwei Blocks von meiner Wohnung liegt und in dem ich von David bedient werde. Seine spezielle Exotik habe ich allerdings erst auf den zweiten Blick erkannt.
Dass rundum ein riesiger Lärm herrscht, daran habe ich mich inzwischen so sehr gewöhnt, dass mir kaum mehr auffällt, dass aus anderen Lokalen mindestens zwei Lautsprecher verschiedene Musikrichtungen herausplärren. Auch die Autos, die vorbei fahren, tragen ihres zur Geräuschkulisse bei und hupen geflissentlich, wenn sich ihnen etwas in den Weg stellt. Als auch noch ein Sänger seine Box vor dem Lokal aufstellt, und für ein paar Pesos anfängt zu singen, ist die Kakaphonie perfekt.
Die Spaghetti haben übrigens wunderbar geschmeckt.
Ich habe ein Video von der Stimmung am Abend auf meine Bison-Seite gestellt. Leider war da das fliegende Sänger schon nicht mehr da. Ist aber trotzdem hörenswert. Oder so...
www.bison.ch / Kolumbien-videos
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien