Neustart
Popayan
Ich habe wunderbar geschlafen. Bis zum Zimmer im dritten Innenhof dringt kein Lärm von der Strasse, sofern es dort überhaupt Lärm gegeben hat. Die Stadt war ja gestern Abend schon vor mir eingeschlafen. Am Morgen höre ich einzig irgendwo einen Hahn krähen, aber das gehört zu Südamerika. Kaum ein Ort auf diesem Kontinent, wo man nicht von Hähnen geweckt wird. Medellin muss ich bei meiner Behauptung allerdings ausnehmen, da waren es die Mechaniker und die Motoren, der Autowerkstatt, die ich am Morgen gehört hatte.
Auch hier gibt es zum Frühstück Huevos Pericos, Rührei mit Tomaten und Zwiebeln, dazu ein Arepa, einen Maisfladen. Ich esse ihn meistens, hoffe immer, dass er mir mit der Zeit vielleicht besser schmeckt, aber bisher hat das nicht geklappt. Allerdings gibt es verschiedene Qualitäten, der heutige gehört zu den besseren. Dazu frische Früchte und einen Papayasaft. Und heisse Schokolade, den Kaffee werde ich mir später irgendwo besorgen.
Bevor ich mich von Wilder, der jetzt Feierabend hat, verabschiede, treffe ich noch auf den Eiermann. Er bringt frische Frühstückseier. Sein Auto steht vor dem Hotel, es scheint, dass er in der ganzen Strasse seine Eier liefert.
Am Strassenrand, der noch gestern völlig leer war, sind jetzt Autos parkiert und da steht sogar ein Pferdefuhrwerk. Popayan ist eine ländliche Stadt mit knapp 300'000 Einwohnern. Sie liegt nahe des Aequators und darum würde es hier oft mehrmals täglich regnen. So habe ich es gelesen. Im Moment scheint mir der Himmel blau, zwar mit Wolken überzogen, aber hell.
Ich gehe zum Hauptplatz, komme wieder an der Kirche vorbei, die ich schon in der Nacht fotografiert hatte und an der grossen Baustelle, die ich kaum beachtet hatte, weil ich einfach nur fasziniert war von den weissen Häusern, den leeren Strassen.
Auf dem Platz hat es jetzt bedeutend mehr Menschen. Und einen ganzer Schwarm Tauben. Sie bleiben zusammen auf dem Platz und wie auf Kommande fliegen alle auf. Was ist es wohl, das sie dazu bringt? Sie kreisen dann kurz um den Platz und landen entweder auf der gegenüber liegenden Seite oder kommen an den genau gleichen Ort zurück von wo sie gemeinsam gestartet sind. Ich habe einen perfekten Aussichtspunkt entdeckt. In der Ecke gibt es eine Terrasse mit einem Cafe. Genau dahin gehe ich jetzt. Von da habe ich den Überblick.
Bei meinem obligaten Cappuccino kann ich sogar ein langes Video machen. Kann der Verkäuferin zusehen, die Kartoffel- und Bananenchips verkauft. Dem Spielzeugverkäufer, der seine Seifenblasen über den Platz wehen lässt. Manchmal kommen sie bis hinauf zu mir. Ich sehe den Mann der sein Plastikpferd auf dem Rücken trägt und dann vor der Kirche abstellt. Das sieht ganz komisch aus, wie der Mann sein Pferd buckelt. Ich musste zweimal hinschauen, bis ich sah, dass das Pferd nur aus Plastik ist.
Und ich kann der Familie zusehen, Mann, Frau und Junge, die mit ihrem Lama und dem Alpaka auf dem Platz nach Müttern suchen, die ihr Kind einmal um den Platz reiten lassen wollen. Sie halten dann das Kind eng umschlungen, damit es auch auf gar keinen Fall von dem Tier fällt. Es kommen jetzt immer mehr Leute auf den Platz, ganze Gruppen lassen sich vor den beiden farbig heraus geputzten Tieren fotografieren. Kinder kaufen Körner und füttern die Tauben oder rennen mitten durch sie hindurch um sie alle zusammen auffliegen zu lassen.
Die Glöcklein der Eisverkäufer erklingen bis zu mir, wenn sie ihre roten Verkaufswägelchen über den grossen Platz stossen. Und direkt unter mir steht ein mobiler Stand mit Handyhüllen. Bei ihm läuft in einer Endlosschlaufe sein Angebot aus einem Lautsprecher. Zum Glück nicht allzu laut, aber trotzdem unnötig.
Der Platz da oben auf dem Balkon ist ideal und wenn ich länger hier wäre, würde ich hier bestimmt täglich hinkommen.
Nach einer Weile, es sind jetzt schon ziemlich viele Leute da, gehe ich hinunter in den Park. Fotografiere die schönen Blumen, die ich zwar schon oft aufgenommen habe, aber irgendwie ist jede Blume wieder neu. Eine andere Farbnuance, eine andere Beleuchtung. Bei den orangen Wandelröschen entdecke ich einen winzigen weissen Schmetterling, der von Blüte zu Blüte schwebt. Doch leider kann ich ihn nicht einfangen. Dafür aber den dicken schwarzen Brummer mit den schillernden Flügeln.
Einem Mann scheinen meine Bemühungen aufzufallen, er fragt mich unvermittelt: "Kennen sie den Namen dieser Blumen". "Nein", muss ich gestehen, denn Wandelröschen kommt mir spontan nicht in den Sinn und wäre wohl auch nicht die gewünschte Antwort. "Es sind Muropache", sagt er darauf freundlich und wartet geduldig, bis ich den Namen richtig in meine Notizen aufgenommen haben. Gefunden habe ich unter diesem Namen später nichts, es scheint sich um eine lokale Bezeichnung zu handeln.
Ich setze mich im Park auf das Mäuerchen, so wie es die meisten machen und sehe dem Treiben zu. Alle wollen etwas verkaufen und die Angebote sind völlig verschieden. Ich habe darum die nächsten Bilder beschriftet, um die Vielzahl der Möglichkeiten aufzuzeigen. Jeder, der hier den ganzen Tag verbringt, hofft, bis zum Abend ein paar Pesos zu verdienen, um für sich und die Familie etwas zum Essen zu kaufen.
Die ganze Familie hofft auf etwas Einnahmen: Vater, Mutter und Sohn. Und Lama und Alpaka brauchen auch etwas zu fressen.
Der Flötenspieler war etwas schüchtern und hat sich nach einem ersten kurzen Versuch zurück gezogen. Muss wohl noch etwas üben.
Ich habe genug gesehen, muss meine Augen und mein Hirn etwas ruhen lassen. Zum Glück habe ich meine Kamera, die mich beim Sehen unterstützt. Ich mache mich auf den Rückweg zum Hotel. Dabei komme ich wieder bei der Pizzeria vorbei. Und diesmal sehe ich es, das Schweizer Kreuz, das vor dem Lokal zusammen mit der italienischen Tricolore und der Kolumbianischen Fahne flattert. Eine Freundin hat mir letzte Nacht geschrieben, dass es hier ein italienisches Restaurant mit schweizer Führung gibt. Schon gefunden, die Stadt ist tatsächlich nicht gross.
Ich gehe jetzt trotzdem zurück und es geht nicht lange, da höre ich einen gewaltigen Donner und darauf setzt ein starker Regen ein. Da ist er also, dieser tägliche Regenguss. Eine ganze Stunde dauert es, aber mich stört es nicht, ich versuche ein wenig zu schlafen und sortiere nachher ein paar Fotos aus. Sehe mir die Videos an, die ich gemacht habe und telefoniere mit einer Freundin in der Schweiz. Auch zum Chatten ist jetzt noch Zeit, in der Schweiz ist es später Abend.
Als ich am späten Nachmittag wieder aus dem Hotel trete, sind die Strassen vom Regen nass und in den Pfützen spiegelt sich der jetzt bereits wieder blaue Himmel. Die Luft ist sauber, die grauen Wolken verzogen.
Bei der Kirche auf meinem Weg sind die grossen Torflügel offen, so dass ich eintreten und mich umsehen kann. Auch hier wie in fast allen Kirchen in denen ich war, sind viele Bänke mit Absperrband markiert. Abstand mindestens zwei Meter. Oder es gibt Markierungen, wo man sich hinsetzen darf. Ganz vorne wird gebeichtet.
Auf dem Platz sind die Tiere inzwischen verschwunden. Lama und Alpaka wurden wohl in ihren Stall gebracht, das Plastikpferd hat seinen Standort gewechselt. Ich gehe am Platz vorbei, will noch etwas mehr sehen. Also folge ich der Strasse. Ein Feuerwehrauto kommt mir entgegen. Ohne Sirene aber mit Blinklicht. Ob es irgendwo einen Wasserschaden gegeben hat?
Und dann ist schon wieder eine Kirche offen und ich trete ein. Unwillkürlich angezogen von einem wunderschönen Lied. Halleluja, live gesungen. Leider bekomme ich nur gerade den Schluss mit. Ich bleibe einen Moment stehen und merke, dass der Pfarrer offensichtlich allein zu dem jungen Mädchen predigt, das da vorne in der Mitte sitzt. In einem schönen rosa Kleid. Er fragt sie, was sie für Pläne hätte, Was sie studieren wolle. Internationales Recht ist ihre Antwort und er erklärt ihr, dass ganz egal was sie im Leben anfängt, es möglichst gut machen sollte. Für sich, für die Gesellschaft und für ihre eigene Zufriedenheit.
Es muss sich hier offensichtlich wieder um eine 15-Jahr-Feier handeln. Ich merke, dass die Predigt und der Gottesdienst noch lange dauern können und gehe zurück auf die Strasse. Noch ist es erst kurz nach fünf und die Sonne wird noch eine knappe Stunde scheinen. Ganz am Ende der Strasse glaube ich eine Treppe zu erkennen. Kann es sein, dass es da in die Höhe geht, dass es die Möglichkeit gibt, über die Stadt zu sehen?
Tatsächlich, da ist eine Treppe. Hinter einem grossen Tor windet sich eine breite gezogene Treppe hinauf. Ob die wohl irgendwann das Tor schliessen? Vorsichtig erst, steige ich ein paar Stufen hinauf, es ist ein Kreuzweg, an den Seiten stehen die Stationen. Als hinter mir ein paar Jugendliche ebenfalls durch das Tor kommen, werde ich mutiger und gehe weiter hinauf, denn es zeigt sich, dass es genau das ist, was ich mir gewünscht hatte. Ein Aussichtspunkt. Oben steht eine Kirche und ich kann die ganze Stadt überblicken. Es ist zwar noch nicht ein Sonnenuntergang, wie ich ihn mir wünschen würde, aber immerhin bietet sich mir hier ein Panorama über die Stadt und die hinter den Wolken versinkende Sonne. Und als ich genauer hinsehe und den Ausschntt wechsle kommt wieder ein Vergleich auf mit Italien. Der Dom von Florenz im letzten Licht des Tages.
Bevor es ganz dunkel wird, steige ich wieder hinunter und komme bei der Kirche gerade recht, um den Fotografen zuzusehen, die die offiziellen Fotos der 15-jährigen Prinzessin machen. Ob ich da auch eine machen darf?
Der Mann, den ich gefragt habe, nickt stolz. Selbstverständlich. Vielleicht ist er der Vater.
Und dann kehre ich in der Pizzeria ein. Ich bin noch sehr früh und daher der einzige Gast. Doch nach und nach füllt sich das Restaurant und als ich gegen acht Uhr nach einer wunderbaern Lasagne und zwei Glas Rotwein das kleine Lokal verlasse, ist es proppenvoll. Jetzt sind es nur noch ein paar Schritte zurück zum Hotel.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien