Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Bucaramanga

letztes Frühstück in Villa de Leyva - Eier-Sandwich

letztes Frühstück in Villa de Leyva - Eier-Sandwich

Mein Hotel in Bucaramanga

Mein Hotel in Bucaramanga

Bucaramanga, eine Stadt von der ich noch nie gehört und über die ich nichts gelesen habe. Ausser, dass sie die Stadt der Parks genannt wird. Sie ist Hauptstadt des Departementes mit dem schönen Namen Santander, hat gegen 600'000 Einwohner und liegt bei mir auf dem Weg in den Norden. Ich wollte keine 20-Stunden-Busfahrt und da ich mich grundsätzlich gegen einen Flug entschieden hatte, brauchte ich einen Zwischenstopp. Bucaramanga.

Gestern bin ich von Villa de Leyva hier angekommen. Nach einer schönen Fahrt durch die Berge. Wir blieben vor allem in der Höhe, meist über 2000 Metern. Erst gegen Schluss fuhren wir über einen Höhenzug, der manchmal fantastische Ausblicke bot und kamen nach und nach ganz hinunter ins Tal zu einem Flussbett. Am Schluss ging es doch noch einmal bergauf, denn Bucaramanga liegt auf gut 800 metern.

Ein Taxi brachte mich nach Einbruch der Dunkelheit ins Hotel. Es ist definitiv das günstigste Hotel meiner ganzen Reise und es bietet wie schon das erste Ayenda-Hotel "Todo que se necesita" - alles was man braucht. Ein Fenster ist da nicht vorgesehen, auch kein Warmwasser. dafür aber sehr nettes Personal an der Rezeption. ein gut ausstaffierter Kühlschrank mit Wasser und Bier und ein Korb voller Snacks im Zimmer. Womit mein Nachtessen geklärt war, denn ich wollte den Ort vor allem zum Schreiben nutzen, zuviel Zeit habe ich wieder verpasst, zuviel erlebt. Bucaramanga sollte mich nicht ablenken, darum verbrachte ich den Abend mit Schreiben im Hotel.

Am Morgen mache ich mich eher widerwillig auf die Suche nach der kleinen Kaffeebar, die mir der Mann an der Rezeption letzte Nacht erklärt hatte. Eigentlich möchte ich weiterschreiben, aber ich brauche einen Kaffee, sonst läuft im Moment nichts. Und ausserdem will ich nicht den ganzen Tag im Zimmer bleiben.

Die nette junge Frau an der Rezeption hat mir versichert, dass das Zentrum nur ein paar Blocks entfernt sei, aber ich kann keinen eigentlichen Hauptplatz finden, dafür bin ich schon bald mitten in einem Markt. Die ganze Strasse wird von den Händlern eingenommen. Gemüse und Früchte werden verkauft und in einer grossen Halle entdecke ich den Fleischmarkt. Hinter gekühlten Vitrinen stehen die Metzger. Es macht alles einen recht guten Eindruck. Überhaupt ist mir aufgefallen, dass Metzgereien in Kolumbien gut eingerichtet sind mit gekühlten sauberen Auslagen.

Nach den Lebensmitteln kommen die Waren aller Art. Neu im Angebot sind Weihnachtsdekorationen. Ich staune immer wieder, wie Weihnachten mit Kälte in Verbindung gebracht wird. Auch an Orten, wo es gar nie kalt wird, werden rot-weisse Mützen mit künstlichem Pelzbesatz, dicke Handschuhe und wollene Schals verkauft. Wer will sowas tragen?

Weihnachtskitsch ist international

Weihnachtskitsch ist international

Ich schlendere weiter über den Markt, sehe den Blumenfrauen zu, dem Schumacher, der eine defekte Sohle neu annäht, als mir ein Paar auffällt. Ein Mann mit einer Frau im Rollstuhl. Die Frau ist in einer eher liegenden Haltung, dick eingepackt, obwohl es warm ist. Sie scheint dement zu sein und bestimmt pflegebedürftig. Der Mann hält seinen Plastikbecher den Passanten entgegen: "Bitte um eine Gabe, alles kann helfen, uns etwas zu essen zu kaufen". So etwa bittet er die Leute. Ich bleibe stehen, suche die paar Münzen zusammen, die in meiner Tasche klimpern, lege sie in seinen Becher, gehe weiter. Ja, ich sehe viele Menschen die betteln. Es ist jedesmal extrem schwierig, daran vorbei zu gehen. Darf man überhaupt vorbei gehen? Ein paar Meter weiter bleibe ich wieder stehen.

Ich gehe zurück, frage den Mann, woher er kommt. Er ist aus der Stadt, lebt aber seit einiger Zeit in einem Park hier in der Nähe, weil die beiden kein Haus mehr haben. Bekommen sie wenigstens eine Rente? No, Senora, nein, die beiden sind ganz auf sich selber angewiesen. Der Mann heisst Jorge, die Frau Luz. Darf ich sie fotografieren? . Pero si, ja selbstverständlich. Der Mann hat da gar keine Hemmungen, er ist sich das vielleicht gewohnt. Und besser, er weiss, dass er fotografiert wird, als dass ich es heimlich mache. Das hinterlässt auch bei mir ein diffuses Gefühl.

Und dann strecke ich ihm 50'000 Pesos entgegen. Es ist die grösste Note, die ich hier in Kolumbien gesehen habe. Zwar ist sie nur gerade 12 Franken wert, aber der Mann schaut mich trotzdem ungläubig an. Dann steckt er sie ein, bedankt sich und segnet mich. Das ist eine völlig normale Reaktion, man wird von allen möglichen Menschen die ganze Zeit gesegnet. Zum Abschied, als Dank, aus Sympathie.

Doch der Mann bedankt sich auch später, als ich auf dem Rückweg wieder an ihm vorbei komme, noch einmal "Ich werde nie vergessen, was du mir geschenkt hast, que dios te bendiga."

Warum ich das erzähle? Ich möchte zeigen, dass man manchmal mit einer kleinen Geste eine grosse Freude machen kann. Das Leben der beiden wird nicht einfacher, ich habe nichts bewirkt, ausser einfach einen kleinen Moment Glück geschenkt. Und mir selber für einen kleinen Augenblick das Gefühl der Hilflosigkeit genommen. Wer kann schon etwas dafür, wo er geboren wurde. Ich bin mir meines Glücks immer wieder sehr bewusst.

Habe nachher wie gewohnt noch gegoogelt. der höchste Notenwert ist die 100'000 Peseten-Note. Das sind gut 24 Franken. Möchte mal wissen, wie man hier einen richtig hohen Betrag bezahlt. Wenn ich Geld aus dem Automaten hole, bin ich hier regelmässig eine Millionärin. und bekomme lauter 50'000 Peseten-Noten, auf die man an vielen Orten kaum Rückgeld bekommt. Es ist immer wichtig, ein paar kleinere Noten dabei zu haben, denn die Leute können oft nicht wechseln.

Unsere 1'000 Franken-Note ist übrigens der höchste Notenwert der Welt. Es gibt nirgendwo eine Note, die einen höheren Wert hat. Was das wohl über uns und unser Geld aussagt...

Jorge und Luz

Jorge und Luz

Und dann komme ich doch noch zu einem Platz. Einem Platz voller Tauben und einer Kathedrale. Einen Platz zu dem die Mütter mit ihren Kindern kommen, um Tauben zu füttern. Das ist sowieso sehr auffallend, wie viel die Tauben gefüttert werden. Überall kann man Maiskörner und andere Sämereien kaufen. Auf der anderen Seite des Platzes wirft ein Mann soeben ganze Handvoll von Futter aus. Darum sind im Moment auch alle Tauben dort. Erst als er den Sack umstülpt und die letzten Körner ausleert, kommen die Tauben wieder zurück zu dem kleinen Mädchen, das den Vögeln ihre Hand entgegen streckt.

Bimmelnde Eisverköufer stossen ihre Verkaufswagen über den Platz und der Chichaverkäufer lässt sein Tonband laufen: Die beste Chicha, wenn sie ihnen nicht schmeckt, bekommn sie ihr Geld zurück.

Chicha ist ein schaumiges Getränk, oder eine Creme, die aus Eiern und Zucker gemacht wird. Dass sie so aus einem Verkaufswagen verkauft wird, habe ich noch nie gesehen.

el Chichero

el Chichero

Die Türe zur Kirche ist offen. Es gibt allerdings eine Zutrittskontrolle, denn drinnen ist eine Messe. Eine feierliche Messe mit einem Live-Musiker. Ich getraue mich nicht, weiter nach vorn zu gehen, beschliesse das Ende der Feier abzuwarten und dann noch einmal herzukommen.

Als die Leute aus der Kirche kommen, sehe ich, dass es eine Taufe war. Noch werden ein paar Fotos vor der Kirche gemacht, während das Tor wieder geschlossen wird. Ich hatte meine Chance, die Kirche von innen zu sehen.

Ein Kindergarten

Ein Kindergarten

Aus einem grossen Grillrestaurant erklingt Live-Musik. Eine Band mit zwei Gitarren, einer Harfe und einem Sönger unterhält die Gäste.

Leider packen sie ihre Instrumente zusammen, nachdem ich mich gesetzt habe. Ich bestelle trotzdem ein Mittagessen und bekomme tatsächlich eine kleine Portion. Pouletbrust, Linsen, Kartoffeln und etwas Reis. Ausser dem Reis, der leider kalt ist, esse ich alles. Vor allem die Linsen schmecken mir sehr gut.

Dann gehe ich zurück zum Hotel. Schlendere über den Platz wo ich auf eine Gruppe treffe, dich sich um zwei Schachspieler schart. Woher ich komme, will einer der Männer wissen und obwohl ich spanisch antworte, spricht er englisch weiter. Bestimmt will er seinen Kollegen zeigen, dass er diese Sprache beherrscht. Könnte ich Schach, würde ich wahrscheinlich zum Spiel eingeladen. So aber gehe ich weiter, vorbei an den Schuputzern zurück durch den Markt, wo ich Jorge noch einmal begegne. Zurück ins Hotel, das tatsächlich nichts zu bieten hat. Ausser gutem Internet und keinerlei Ablenkung.

Genau das was ich mir für diesen Ort vorgestellt hatte.

Bevor ich ins Zimmer gehe, steige ich noch bis unters Dach. Da gibt es statt einer Dachterrasse die Wäscherei, wo zwei grosse Waschmaschinen stehen und die Hotelwäsche zum Trocknen hängt.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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