Neustart
Salzkathedrale
Heute habe ich eine Tour gebucht. Es geht ins 50 km entfernte Zipaquira. Pünktlich um acht Uhr werde ich abgeholt. Bevor ich aber in den Minibus einsteigen darf, muss ich einen aufwändigen Gesundheitscheck ausfüllen. Auf dem Handy des Tourguides werden die Daten übermittelt. Name und Passnummer. Hast du Husten, Beschwerden, Fieber gemessen, geimpft? Die Fragen sind lang und ausführlich. Doch dann darf ich zusteigen. Wir sind eine internationale Truppe. Zwei Mexikaner, ein Franzose, eine Guatemaltekin und dann kommen noch drei Brasilianerinnen dazu, die den Tourguide Carlos beim Warten auf den Franzosen angesprochen und spontan zugesagt haben.
Die Fahrt soll eine gute Stunde dauern, doch wir sind kaum losgefahren, stecken wir schon in einem Stau, der die Ausfahrt in den Norden Bogotas blockiert.
Die Strasse ist gut ausgebaut, eine zweispurige Autobahn mit einer Mautstelle auf halber Strecke. Dort können wir zum Glück abzweigen und jetzt ist die Strasse frei und bald erreichen wir den Ort Zipaquira.
Wir parkieren beim Plaza de Independenzia, beim Unabhängigkeitsplatz. Ein grosser Platz mit Geschäften rundum, ein gepflegter Park. Vom nahen Hauptplatz kann man die sehr schöne Kathedrale erkennen, die über die meist eingeschossigen Häuser ragt. Eine typische gepflegte Kolonialstadt. Doch wir sind nicht der Stadt wegen gekommen, darum gibt es auch nur kurz Zeit, uns umzusehen. Carlos gibt die Zeit vor: "in 20 Minuten treffen wir uns wieder hier. Da gibt es Toiletten und dort geradeaus geht es zum Hauptplatz. Viel Vergnügen."
Auf dem Unabhängigkeitsplatz fallen mir die fünf Fahnenmasten auf. Es sind Kolumbien mit seinen Nachbarländern. Auf den Plaketten stehen die Daten, wann die Länder ihre Unabhängigkeit von Spanien erlangt haben. Es sind erst gut 200 Jahre her, seit die Länder ihre Geschicke in die eigenen Hände genommen haben. Nachdem sie alle mehr als 300 Jahre unter der Regierung von Spanien standen. Manchmal muss ich mir die Zahlen wieder in Erinnerung rufen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Um den grossen Einfluss der Spanier, der an allen Orten noch immer sichtbar ist, zu verstehen.
Die Unabhängigkeit der südamerikanischen Staaten ist noch gar nicht so alt:
Kolumbien 1819 / Venezuela 1830 / Ecuador 1830 / Peru 1821 / Bolivien 1825
Ich gehe weiter durch die kurze Fussgängerpassage zum Hauptlatz und stehe auf einem riesigen leeren Platz. Ein paar Palmen stehen da, sonst ist der Platz leer. Ausgelegt mit gleichmässigen Pflastersteinen. Ein paar Tauben flattern darüber, am Rand werden Maiskörner verkauft. Taubenfutter. Und rund um den Platz die niedrigen Häuser mit den zum Teil farbigen Fassaden und den Balkonen. Auf der einen Seite steht die Kathedrale mit ihren beiden Glockentürmen, auf der anderen wohl ein Regierungsgebäude mit der Flagge davor. Ein wunderschöner Platz. Ich würde gerne einen Moment verweilen, die Stimmung aufnehmen.
Doch die Zeit läuft. Ich nehme die nächste Seitenstrasse und kehre zurück zum Treffpunkt.
Wir fahren nicht weit, nur ein wenig den Hang hinauf. Da oben gibt es noch einmal einen Blick über die Stadt.
Hier in Zipaquira gibt es ein riesiges Salzvorkommen, das sogar schon vom Entdecker Alexander Humboldt 1801 registriert wurde. Noch heute wird hier Salz aus der Erde geholt.
1995 wurde in den alten Stollen eine Kathedrale gebaut. Aus den Anfängen einer kleinen Kapelle, die die Mineure am Anfang ihrer Schicht oft besuchten, ist eine riesige Kathedrale geworden, die heute zu den Hauptattraktioen Kolumbiens gehört.
Wir müssen noch etwas warten, bis wir hinein können. Das gibt mir Zeit, mich in den Blumenrabatten umzusehen, wo ein paar strahlende Blumen blühen.
Wir werden alle mit einem Audiogerät ausgestattet, damit wir die Kathedrale auf eigene Faust entdecken können. Aus dem Lautsprecher höre ich die ersten Anweisungen. Es könnte im Inneren dunkel sein und die Wege seien nicht alle ganz gut ausgeleuchtet. Auch seien die Wege oft etwas uneben. Man soll im Falle einer kompletten Dunkelheit die Nerven nicht verlieren, es wären alle Sicherheitseinrichungen vorhanden und es gäbe grün bezeichnete Notausgänge.
Bei solchen Durchsagen überlegt man sich unwillkürlich, ob man die Taschenlampe auch tatsächlich dabei habe, ob das Handy auch genügend aufgeladen sei und wie es mit meinem Gleichgewichtssinn steht. Das Handy ist bestens geladen, die Notbatterie dabei und überhaupt, was soll diese Angstmacherei.
Zwei Stunden haben wir Zeit, dann werden wir uns wieder hier beim Ausgang treffen.
Ein Gang mit wechselndem Farbenspiel empfängt mich, ein Stollen, der tief ins Innere des Berges führt. Es geht leicht abwärts. Der Gang ist bestens ausgeleuchtet, also gar nichts von schlechter Beleuchtung. Überall gibt es in bodennähe Lampen, die den Boden beleuchten. Dieser ist alles andere als uneben. Wenn ich da an die Trottoirs in Bogota denke, dann ist das komplett gerader Boden. Ohne jegliche Löcher oder Stufen. Er neigt sich leicht, es geht in die Tiefe. Nach dem langen Einstiegsschacht geht es um eine Ecke und hier fängt der Kreuzweg an. Es sind keine Szenen, es ist immer nur das Kreuz, das ins Salz geschlagen wurde und immer wieder in anderen Farben erstrahlt.
Aus meinen Kopfhöhrern erfahre ich, was die einzelnen Stationen darstllen. Christus fällt unter der Last des Kreuzes, Christus begegnet den Frauen. Die Stationen sind bekannt, die Umsetzung sehr modern.
Doch richtig interessant ist erst der Blick hinter das Kreuz. Es sind riesige Schächte, hohe Kammern, die sich dahinter aufmachen und diie bis in die Tiefe mit geheimnisvollem Licht ausgeleuchtet werden.
Hinter einigen Kreuzen öffnet sich ein riesiger Schacht, der gegen 80 Meter tief und 20 meter hoch ist. Geheimnisvolle Kammern. Andere Stationen haben kleine Altarräume. Bei einigen kann man ein paar Stufen in die Tiefe gehen, um die Kammern etwas besser zu sehen, aber das Ganze bleibt geheimnisvoll, mystisch. Auf die Stimme im Ohr kann ich hier verzichten und ausserdem bin ich sehr froh, dass wir nicht als ganze Gruppe unterwegs sind und überall wieder unserem Guide zuhören müssen, wie das die grosse Gruppe macht, die ich soeben überholt habe. Soviel zuhören, was man vielleicht gar nicht hören will, was von der ganzen Stimmung ablenkt.
Schade, muss man auch hier drin die Maske aufbehalten, denn die mit Salz angereicherte Luft wäre sicher angenehm. Natürlich kommt trotzdem etwas davon durch. Es ist angenehm kühl hier drin.
Nach der letzten Station des Kreuzweges komme ich zur Kuppel. Eine runde Kuppel, in die Decke der Kammer geschlagen und blau ausgeleuchtet. Dieser Ort soll die Verbindung zu Gott symbolisieren. Der dunkle Boden mit dem hell erleuchteten Weltall, mit dem Himmel. Auch wieder ein sehr eindrücklicher Ort, an dem ich einen Moment verweile, bevor ich die paar Stufen hinauf mache zum Balkon. Hier kann man hinunter ins Hauptschiff sehen. Im Moment ist dort eine Veranstaltung im Gang.
Hier oben aber steht der Engel Gabriel mit der Posaune. Ich erkläre ihn kurzum zu meinem Schutzengel und bedanke mich bei ihm, dass er mir bei den letzten Abenteuern treu zur Seite gestanden ist.
Und dann geht es in die Tiefe. Es sind verschiedene Treppen, die hinunter führen. Das müsse so sein, das sei wie ein Labyrinth, wo der Mensch seinen Weg zu Gott suche - und auch finde, denn alle Treppen und auch die rollstuhlgängige Rampe führen hinunter zum grossen Kirchenschiff.
Sie sind jetzt in 180 m Tiefe höre ich aus meinem Kopfhörer. Das ist eine ganze Menge Salz und Stein, der sich da über mir auftürmt. In einem Seitenschiff trete ich in die Kapelle der Jungfrau. An den Wänden in Nischen sind verschiedene Skulpturen. Zum Teil hinter Glas, zum Teil offen.
In der nächsten riesigen Kammer ist für ein grosses Bankett aufgetischt. Es sei die Preisverleihung für Sicherheitsfirmen des ganzen Landes erklärt mir eine der Frauen, die in langen Räcken bereit sind. Ich nehme an, sie werden später, wenn die Veranstaltung fertig ist, an den Tischen servieren. Jetzt aber posen sie gern für die vielen Fotografen.
Ich trödle noch ein wenig, höre meinem Begleiter im Ohr zu, der erklärt, dass die Lüster an den Decken aus tausenden von Salztropfen bestehen, die mit blauem Glas und weissen Lampen ergänzt, eine zauberhafte Beleuchtung ergeben.
Und dann hab ich tatsächlich Glück, die Peisverleihung ist zu Ende, das letzte Klatschen verstummt, die Gäste gehen hinüber zum Apero und die Bänke in der Kathedrale sind leer. Ich kann ganz nach vorn gehen, wo im Boden ein Relief eingelassen ist. Angelehnt an die Erschaffung des Menschen von Michelangelo, die Berührung zwischen Gott und dem Menschen.
Wieder zurück im Hauptgang nimmt mir eine junge Frau das Audiogerät ab, der Rundgang ist zu Ende, was jetzt noch kommt, ist Kommerz.
Jetzt kommen die Verkaufsläden, wo man in den verschiedenen Kammern unzähliche Erinnerungsstücke kaufen kann. Oder Schmuck mit Esmerald-Steinen. Die grünen Smaragde werden hier im Salz ebenfalls gefunden.
Ich bummle noch ein wenig durch die verschiedenen Verkaufslokale, die alle ebenfalls wunderschön beleuchtet sind. Doch mich kann nichts ansprechen. Finde es tatsächlich interessant, wie lang anhaltend mein Aufgeben des Haushaltes wirkt, mein Weggeben von allem, was sich in den Jahren angesammelt hat. Ich verspüre nicht die geringste Regung, etwas zu kaufen, und sei es auch noch so klein. Meine Erinnerungen behalte ich in meinem Kopf und natürlich in meiner Kamera. Es wird bestimmt eine Zeit kommen, wo ich wieder das Bedürfnis habe, Sachen zu besitzen, im Moment ist es noch nicht so weit.
Ich kann mir die Sachen völlig frei ansehen und mich an den vielen kreativen Ideen freuen, brauche aber gar nichts mit nach Hause zu nehmen, denn im Moment habe ich alles, was ich brauche.
Ich trinke einen Kaffee in der kleinen Cafeteria und sehe nach langer Zeit wieder einmal eine Wand mit kleinen Liebesschlössern. Hier hat man mit dem Gewicht all dieser Schlösser kein Problem. An anderen Orten auf der Welt mussten sie aus Sicherheitsgründen wieder von Brückengeländern entfernt werden, denn die Dinger bekommen richtig Gewicht, wenn sie so in Massen angebracht werden.
Es fehlt noch eine halbe Stunde bis zum Treffpunkt. Eigentlich würde es eine kleine Bahn geben, die hinaus fährt, doch ich ziehe den umgekehrten Gang zurück durch die verschiedenen Kammern vor. Kann noch einmal unanbhängig von der Stimme im Ohr die Stimmungen aufnehmen und bin bald zurück am Tageslicht.
Und jetzt sehe ich, was es bedeutet, die Sonne zu spüren, das Licht zu empfangen, das nicht von Strom erzeugt wird. Wie unheimlich muss es da unten sein, wenn plötzlich das Licht ausfällt. Ich war einmal in einer riesigen Höhle. Da hat der Besitzer nach Ansage den Schalter gedreht und dann war es stockfinster.
Jedenfalls ist diese Kathedrale im Innern des Berges ein Erlebnis für alle Sinne. Und auch wenn sie so fantastisch war, die Rückkehr an die Sonne ist unbezahlbar.
Carlos fährt uns zum Restaurant wo wir das Mittagessen einnehmen. Dabei beantwortet er die Fragen, die sich angestaut haben. Ja, man kann die Kathedrale für Hochzeiten, Taufen und andere Anlässe mieten. Das wird auch sehr oft gemacht. Sie untersteht keinem Bischof, aber es gibt jeden Sonntagmorgen eine Messe darin. Und als Egon Barnal, der Radrennfahrer, der hier geboren wurde, 2019 die Tour de France gewonnen hatte, fand seine Siegesfeier hier in der Kathedrale statt.
Egon Barnal, der erste südamerikanische Gewinner der Tour de France, gewann dieses Jahr auch noch den Giro d'Italia. Man ist hier ungeheuer stolz auf den Sohn der Stadt und sein Portrait findet man auf Graffitis.
Es ist nicht weit bis zum Restaurant. Es ist eines dieser typischen Touristenrestaurants, wo die Touristen mit dem Bus vorfahren, verköstigt werden und nach einer Stunde wieder losfahren.
Beim Eingang gibt es eine grosse Feuerstelle, wo ganze Fleischstücke am Spiess gebraten werden. Wir bekommen alle ein kleines Häppchen, um uns gluschtig zu machen und bis wir an Tisch sitzen, hat Carlos bereits organisiert, dass all unsere Flaggen auf dem Tisch aufgestellt sind. So läuft das in einer richtigen Touristenhochburg.
Eigentlich würde ich gern eine kleine Portion bestellen, denn meistens esse ich erst Abends etwas. Doch auf so individuelle Wünsche ist man hier nicht eingestellt und ausserdem sind die Portionen allgemein sehr riesig. Leider muss ich dann mehr als die Hälfte stehen lassen.
Zum Essen spielt noch eine kleine Band auf und bald darauf sind wir auch schon wieder unterwegs. Zurück nach Bogota, das uns wieder mit einem Riesenstau auf der Einfahrtsstrasse empfängt.
Es war ein voller Tag, ich bin ziemlich müde, als ich im Hotel ankomme. Essen brauche ich heute nichts mehr. Jetzt nur noch entspannen, etwas lesen und bald schlafen.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien