Neustart
Tatacoa Wüste
Sonntagmorgen, es ist alles geschlossen. Nur die kleine Bäckerei um die Ecke hat geöffnet und es gibt ein kleines Frühstück. Unglaublich, was die alles für verschiedene Backwaren anbieten. Süsses und salziges, mit Früchtefüllung oder mit Käse. Aus Maismehl oder aus Weizenmel.
Für mich gibt es einen Milchkaffee und ein Gipfeli mit Kösefüllung, dazu eine Flasche Wasser zum Mitnehmen. Ich muss gleich noch einmal nachfragen, als die freundliche Ladenbesitzerin mir den Preis sagt: 3000 Pesos, 75 Rappen.
Um neun Uhr holt mich Isabella ab. Sie ist Guia hier in Neiva und hat sich für Privatführungen in die Wüste spezialisiert. In Spanisch und Englisch.
Wir fahren eine knappe Stunde bis wir in Villavieja eintreffen. Das ist der Ort wohin ich reisen wollte, weil ich glaubte, es wäre von da einfacher in die Wüste zu kommen. Doch wie ich jetzt erkenne, war die Entscheidung richtig, in Neiva zu bleiben. Der Transport ist einfacher, denn nach Villavieja fahren keine Busse, nur Pickups ohne Fahrplan. Die fahren, wenn sie voll sind.
Zuerst sehen wir uns den Hauptplatz von Villavieja an. Hier fallen vor allem die alten Bäume auf und ein riesiges Magaterium, ein Riesenfaultier aus der Zeit vor der letzten Eiszeit. Solche Tiere werden wohl damals zusammen mit Mammuts die Gegend bevölkert haben. Man darf sich dabei gern in die Zeit von Ice Age mit ihren riesigen Tieren zurückversetzen. MIt dem heutigen Faultier hat dieses Riesending übrigens nicht mehr viel gemein.
Gegründet wurde der Ort von den Spaniern, von den Indigenen wieder zerstört und danach weitgehend von den Jesuiten übernommen, die hier grosse Ländereien und ein Kloster hatten. Geblieben ist die kleine Barbara-Kapelle, die leider geschlossen ist.
Aber die grosse Kirche ist offen. Wir statten ihr einen kurzen Besuch ab. In der Gegend werden die beliebten Achiras gebacken. Kleine Gebäcke aus einem Yuca-ähnlichen Mehl. Man kennt sie im ganzen Land, sie werden in kleinen Plasticktüten verkauft und als Snack überall mitgenommen. Isabella hat extra für mich ein paar gekauft, aber leider kann ich mich dafür nicht erwärmen. Zu trocken und ausserdem mag ich keine Snacks. Aber versucht hab ichs natürlich. Finde sie etwas salzlos, kann mir aber gut vorstellen, dass man davon nicht genug bekommt, wenn man mal angefangen hat, das Zeugs zu knabbern.
Gemacht werden sie vor allem im kleinen Ort Polonia, durch den wir soeben gefahren sind. Überall stehen dort am Strassenrand die Verkaufsstände mit den Plastiktüten.
Eigentlich sind wir jetzt schon mitten drin in der Wüste. Sobald wir Villavieja verlassen sind wir in einer eigentümlichen Landschaft. Die üppigen Pflanzungen sind schon lange verschwunden, was jetzt noch da ist, ist eine Karstlandschaft mit eigenartigen Strukturen. Es hat hier über Jahrtausende nicht viel geregnet. Und trotzdem wurde die Gegend vom Wasser geformt. Von den abfliessenden Gletschern, von gewaltigen Regengüssen und Flüssen, kleinen Bächen und Rinnsalen, die sich tief in die Gegend hinein gefressen haben. In letzter Zeit kann man nicht mehr von einem komplett trockenen Gebiet reden, denn jetzt gibt es immer wieder einmal einen kurzen Regenguss. Darum ist es gelegentlich sogar grün. Doch es sind spezielle Pflanzen, die die Trockenheit und grosse Hitze überstehen. Vor allem sind es hohe Kaktusse. Kandelaber gleich stehen sie überall. Fast wie ein Wald. Darum nennt man das Gebiet auch Trockenwald. Daneben gibt es stacheliche Sträucher und kleine runde Kaktusse.
Isabella hat einen Anruf bekommen. Ein Notfall. Ein englischsprechender Guide ist ausgefallen, man braucht ihre Hilfe für eine Gruppe. Sie würde mir einen spanischsprechenden einheimischen Mann organisieren, so dass ich auf meinem Spaziergang durch die Wüste individuell betreut sei. Ob das für mich ok sei. Was soll man da sagen, wird schon in Ordnung sein.
Bis zum Treffpunkt mit der Gruppe fahren wir durch die Gegend, halten gelegentlich an, damit ich ein paar Fotos machen kann. Die Temperatur steigt schon ziemlich hoch. Und dann gibt mein Handy plötzlich den Geist auf. Der Touch Screen fällt aus. Ich kann nicht mehr fotografieren, kann keine App mehr öffnen. Es gibt keine Meldung wegen Überhitzung, nichts, das Handy reagiert einfach nicht mehr. Und das ausgerechnet jetzt, wo ich so tolle Fotosujets vor mir habe. Ich kann es auch nicht ausschalten, zwar komme ich mit den seitlichen Knöpfen bis zur Ausschaltfunktion, aber da müsste ich wieder mit dem Finger antippen. Es geht nicht. Das sind dann die Momente wo ich mich frage, warum ich nicht zusätzlich eine kleine Kompakt-Kamera dabei habe. Ich bin völlig frustriert.
Inzwischen haben wir die Gruppe erreicht. Es sind junge Leute aus Deutschland und Holland und Isabelle übernimmt sie in Englisch, während ich mit Miguel Angel starte. Er weiss genau Bescheid über die Pflanzen, die Beschaffenheit des Bodens und die Geschichte der Tatacoa-Wüste. Zeigt mir die grossen runden Kaktusse mit ihren winzigen rosa Blüten, aus denen sich kleine Früchte entwickeln, die man essen kann. Sie sehen ein wenig aus wie rote Knoblauchzehen, sind aber innen süss und saftig.
Auch macht er mich auf die roten Blumen aufmerksam, die von den Kolibris umschwirrt werden. Im Moment zeigt sich allerdings keiner dieser winzigen Vögel, die sind eher am frühen Morgen unterwegs. Auch macht er mich auf Löcher im Boden aufmerksam, wo sich Wüstenbewohner wie Füchse und andere Tiere tagsüber verstecken, um nachts auf Beute zu gehen.
Unser Spaziergang soll eine Stündchen dauern, hat Isabelle gesagt, bevor wir uns getrennt haben. Nach und nach kommen wir hinunter auf den Grund der Wüste, dort wo man die Spuren noch sieht, die das Wasser hinterlassen hat. Wir kommen durch einen schmalen Canon mit hohen geschwungenen Mauern aus Sandstein. Dazwischen gibt es auch Steinbrocken, in denen kleinen Kieselsteine eingeschlossen sind. Miguel erklärt wie diese entstanden sind durch Druck und Erosion. Natürlich hat er keine Ahnung, dass ich in der Nähe des höchsten Nagelfluhberges Europas aufgewachsen bin. Der Speer hinter Amden, am Walensee besteht genau aus dieser Verbindung von kleinen Kieselsteinen und Sand.
Auch ein paar Versteinerungen von Muscheln zeigt er mir. Und Versteinerungen von alten Bäumen, die wie Relikte aus einer anderen Zeit aus dem Boden ragen.
Einmal bricht er einen kleinen Ast von einem Busch und lässt mich riechen. Palo Santo, das heilige Holz. Aus Peru kenne ich es als Holz. Es wird auf den Schamanenmärkten verkauft, als Blatt habe ich es noch nie gesehen. Doch es riecht genauso intensiv wie das Holz.
Die Gegend ist extrem eindrücklich, aber als es daran geht, den letzten Aufstieg in Angriff zu nehmen, lassen meine Kräfte nach. Ich muss mich jetzt einfach einen Moment setzen. Zu Atem kommen. Ausserdem ist es heiss geworden.
Als Isabelle mit der Gruppe zu uns stösst, ist sie etwas beunruhigt und reibt mir ein würziges Oel an die Schläfen und unter die Nase, das meine Lebensgeister wieder wecken soll. Ich merke, dass mich jetzt alle etwas besorgt ansehen, aber ich bitte, sie, weiter zu gehen, der Treffpunkt ist ja nicht mehr weit. Nur noch den letzten Anstieg bewältigen, das werde ich auch schaffen, wenn ich mich genügend ausgeruht habe.
Eigentlich sind es genau diese Situationen, die ich vermeiden wollte. Darum hatte ich eine private Tour gebucht. Es ist ja nicht so, dass mich die jungen Leute bedrängt hätten, im Gegenteil, aber ich kenne meine eigenen Grenzen und möchte mich innerhalb von diesen bewegen und damit niemanden sonst behindern oder bemitleidet werden.
Und dann, ich glaube es nicht, erwacht auch mein Handy wieder. Jetzt, wo ich die allerbesten Fotos verpasst habe, reagiert es wieder. Ich nehme den Aufstieg unter die Füsse und schon bald fahren wir zur Finca von Miguel. Er hat hier einen kleinen Bauernhof mit Hühnern, ein paar Ziegen und ein paar Kühen. Zusätzlich zu seiner Landwirtschaft gibt es einfache Mahlzeiten, die seine Frau mit einer Helferin zubereitet. Leider mag ich nach der Anstrenung kaum etwas essen. Es kam wohl einiges zusammen. Der Frust mit der Kamera, die Hitze und die Anstrengung.
Um die Resten der Mahlzeit kümmern sich später die Hühner, zusammen mit eine paar Katzen.
Zum Glück ist der nächste Programmpunkt relaxter. Wir fahren zu einem Pool. Es geht weiter durch die graue Wüste, so heisst dieser karge Teil des Gebietes und Isabella meint, der grosse Pool, den alle kennen würden, wäre heute bestimmt überlaufen, denn es ist Sonntag. Tatsächlich sehen wir auf dem Parkplatz sogar drei grosse Busse stehen. Zum Glück kennt sie noch einen anderen Ort, den scheinbar gar niemand kennt. Nach kurzer Fahrt erreichen wir einen Pool, der mitten in der Wüste, etwas versteckt in einer Senke liegt und hier sind wir völlig allein.
Absolut fantastisch, eine Stunde liegen wir im lauwarmen Wasser, lockern unsere Glieder und kommen ins Gespräch. Lot aus Holland und Emily aus Deutschland versprechen, mir später ein paar von den Aufnahmen zu schicken, die ich auf dem Spaziergang verpasst habe. Langsam legt sich mein Frust. Wäre ja auch zu blöd, so schön, wie das Leben im Moment grad ist.
Nach dem erfrischenden Bad fahren wir in die rote Wüste. Hier ist die Erde eher rot und die Formationen ensprechen mehr kleinen Hochplateaus, die stehen geblieben sind, wähend rundum die Erosien die Erde abgetragen hat. Noch einmal soll es einen kurzen Spaziergang geben, doch ich winke ab. Ich bleibe lieber im Schatten des kleinen Restaurants, plaudere mit Jesus, dem Chauffeur und mache später mit Miguel noch ein paar Schritte zum Aussichtspunkt. Hier kann ich die ganze Szenerie überblicken, ohne noch einmal an meine Grenzen zu kommen. Ausserdem weiss ich inzwischen, was ein kurzer Spaziergang bedeutet, am Morgen waren wir gute zwei Stunden unterwegs.
Es geht gegen Sonnenuntergang, alsl die anderen zurück kommen. Erfüllt und begeistert von den Erlebnissen auf ihrer Tour.
Eigentlich wäre jetzt noch ein Besuch eines Observatoriums auf dem Programm, doch der Himmel hängt so voller Wolken, dass kein einziger Stern am Himmel sichtbar wäre. Wir warten nur noch den Sonnenuntergang ab, geniessen die Stimmung der beleuchteten Wolken, trinken einen frischen Zuckerrohr-Saft, dann bricht Isabella die heutige Tour ab.
Darüber ist niemand enttäuscht, denn für alle war es ein erfüllter Tag in einer Gegend voller Wunder. Und immer wieder kann ich nur staunen, wie vielfältig die Erde, wie verschieden die Oberfläche dieses Planeten ist. Ich bin wieder einmal dankbar, als das erleben zu dürfen.
Auf der Rückfahrt nach Neiva entdecken wir im schwindenden Licht zwei Cara-Cara auf einem hohen Kaktus. Diese grössen Vögel kenne ich sehr gut aus dem Regenwald von Peru.
"Was war das für ein Oel, das du mir gegeben hast, es hat so gut gereochen und es hat auch tatsächlich geholfen.`", will ich von Isabella noch wissen. "Ja, das ist ganz gut, gemacht aus 31 Kräutern und es hilft immer bei Erschöpfung und anderen Problemen", erzählt Isabella. Und dann fügt sie noch hinzu: "Es ist ein Mittel aus der Schweiz, Just heisst die Firma." So klein ist die Welt manchmal...
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien