Neustart
Busfahrt
Eigentlich wollte ich diesen letzten Tag in Medellin gemütlich angehen. Im Restaurant gegenüber beim Kaffee die letzten Kapitel fertigschreiben, die Wohnung aufräumen und packen und dann einen Spaziergang zu Beatriz machen, die mir seit ein paar Tagen jeden Morgen einen guten Tag wünscht und sich erkundigt, wie es mir geht.
Doch mein Erstaunen ist gross, als ich am Morgen sehe, dass das Restaurant gegenüber geschlossen ist. Das ist doch sonst immer offen, ausser Sonntag, aber heute ist Montag. Auch sonst ist es heute fast unheimlich ruhig vor dem Haus. Da wo sonst alles von parkierten Autos überstellt ist, wo in den verschiedenen Autowerkstätten gearbeitet wird, ist heute überhaupt nichts los.
Niemand auf der Strasse, auch kein Verkehr und dabei drängeln sich an normalen Tagen die Autos durch die schmalen Strassen. Heute ist Ruhe..
Ich suche im Internet nach Feiertagen und tatsächlich, heute wird in Kolumbien der Kolumbus-Tag gefeiert. Warum das heute ist, erschliesst sich mir nicht, denn heute ist der 18. Oktober. Ganz Südamerika feiert am 11. Oktober, das wäre vor einer Woche gewesen, aber in Kolumbien ist heute Feiertag. Am 12. Oktober 1492 erreichte Kolumbus die neue Welt.
Der Tag scheint heiliger zu sein, als ein gewöhnlicher Sonntag, denn die Restaurants rundum, in denen ich eingekehrt bin, sind alle geschlossen. Zum Glück habe ich noch ein Yoghurt im Kühlschrank, also zurück in die Wohnung.
Schreiben, aufräumen, packen.
Am Nachmittag mache ich dann doch noch einen längeren Spaziergang, gehe doch noch einmal zum Consuela-Gourmet, wo Beatriz arbeitet. Vielleicht, wer weiss, ist der ja trotzdem offen. Natürlich nicht, Wie sollte er auch. Ich komme an lauter geschlossenen Rollläden vorbei. Geisterhaft erscheint mit die Stadt, die leeren Strassen. Auf dem Rückweg entdecke ich, dass das Bison-Restaurant offen ist.
"Nur bis 17.00 Uhr", erklärt mir der Keller. Das reicht grad noch für ein Thunfischsteak vom Grill, danach bin ich auch bereits wieder zu Hause. Bei Dunkelheit macht es eh keinen Sinn, auf der Strasse zu sein, wenn alles geschlossen ist. Ab 18.00 Uhr wird es ziemlich schnell dunkel. Das ganze Jahr, das kommt von der Nähe zum Aequator.
Dienstag-Morgen. Alles wieder ganz normal. Ich trinke meinen Kaffee in meinem Restaurant, nehme noch einmal eines der gefüllten Panades dazu und verabschiede mich. Die Putzfrau kommt, um die Wohnung abzunehmen und am Mittag fährt das Taxi vor. Bringt mich zum Terminal del Sur, dem riesigen Busterminal in der Nähe des Flugplatzes.
Mit kleiner Verspätung fährt der Bus um halb zwei los. Neun Stunden Fahrt liegen vor mir. Ich habe mir ein neues Buch heruntergeladen und vertiefe mich in den leichtfüssigen Roman. Eine Geschichte von Neuanfang, von verwirrenden Liebesgeschichten, pupertierenden Teenagern. Vom Anfangen, vom Scheitern und vom sich selber finden. Genau das richtige, um die lange Fahrt zu überstehen. Eintauchen in eine andere Welt, ins alte Land in der Nähe von Hamburg. Eine sympatische Geschichte.
Der Bus ist nicht ganz ausgebucht, der Platz neben mir bleibt leer, es ist also eine äusserst bequeme Fahrt. Ich sitze direkt hinter dem Chauffeur, kann die Strasse überblicken, wenn ich mich kurz vom Buch löse. Schon bald nachdem wir losgefahren sind, halten wir kurz am Strassenrand an, ein fliegender Verkäufer kommt herein, geht mit seinem Angebot von Bananenchips und kleinen süssem Gebäck einmal durch den Bus und steigt danach wieder aus. Später kommt noch einer mit Süssgetränken.
Wir fahren durch Hügel und Berge. Manchmal gucke ich auf den Höhenmesser auf meinem Handy und merke, dass wir bis hinauf auf 2000 m kommen. Wenn es kurvig wird, sind wir in der Höhe, dazwischen kommen aber auch sehr gerade doppelspurige Strecken. Die sind eher tiefer unten im Tal. Wir folgen eine ganz Weile dem Rio Magdalena, dem wichtigsten Fluss Kolumbiens, der von Süden nach Norden durch das ganze Land fliesst.
Und dann stehen wir plötzlich im Stau. Nichts geht mehr.. Einige Passagiere benutzen die Gelegenheit für eine Rauchpause draussen, doch der Chauffeur bittet sie, sich nicht zu weit zu entfernen. "Was ist denn los?" will ich wissen. "Gab es einen Unfall?" Nein, Bauarbeiten, die Strasse ist nur noch einspurig befahrbar.
Wie lange wir gewartet haben, habe ich nicht kontrolliert, aber es scheint eine halbe Ewigkeit zu sein. Plötzlich geht es dann aber doch wieder weiter und die Autos drängen von hinten, versuchen zu überholen, das Hindernis möglichst schnell hinter sich zu bringen. Bis bei uns alle wieder eingestiegen sind, werden wir von etlichen Minivans und PWs überholt. Doch dann sind auch wir wieder auf der Strecke. Bis es wieder stoppt.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Ob ich noch einmal das Hotel anschreiben soll? Mitteilen, dass es später wird, als ich mich angekündigt hatte. Halb zehn war vorgesehen und das Hotel hatte geschrieben: wir erwarten dich jederzeit.
Ausserdem stand da etwas von 24-Stunden Rezeption. Wird schon in Ordnung sein. Bestimmt gibt es beim Busterminal ein Taxi, mit dem ich ganz schnell im Hotel sein werde.
Wir haben inzwischen eine offizielle Pause eingelegt. Zeit zum Nachtessen und Ruhezeit für den Chauffeur, der schon ein paar Stunden am Steuer sitzt. 40 Minuten zum Essen und für Toilette. Das Restaurant ist riesig, mit Selfservice und verschiedenen Schnellimbissen.
Als wir wieder losfahren will ich vom Chauffeur wissen, wie lange er noch rechnet. Drei Stunden. Dann wird es kurz vor Mitternacht, rehne ich nach und hoffe, dass das mit dem Hotel klappt. Wird schon.
Ich tauche zurück in meinen Roman, wo die LIebesgeschichte langsam zu einem Höhepunkt zusteuert. Irgendwann sehe ich nach, wo mein Hotel eigentlich ist. In der Nähe des Hauptplatzes, den müsste ich im Notfall auch noch ohne Taxi finden. Ich weiss ja nicht, wo der Bus halten wird.
Ich habe mich gerade richtig orientiert, als der Bus hält. Endstation. Salento.
Mehr als eine Stunde früher als erwartet. Mit einer Stunde Verspätung zum Fahrplan. Doch wo sind wir? Da ist keine Station, wir stehen irgendwo am Ortseingang an der Strasse.
"Da vorne ist der Hauptplatz, alles geradeaus", informiert uns der Chauffeur, während er die Gepäckstücke auslädt. Dann stehen wir auf der Strasse. Zum Glück leuchten ein paar Lampen. Wir, das sind vielleicht 10 Leute. Junge Touristen, darunter drei Franzosen. Zum Glück habe ich mich gerade noch orientiert, ich merke, dass mein Hotel an dieser Strasse liegen muss, ich werde das ohne Taxi schaffen. Von Taxis oder von irgendwelchen Autos ist nichts zu sehen. Also schultere ich den Rucksack und ziehe meinen Koffer hinter mir her. Die Strasse ist zwar aspahltiert, aber ziemlich holperig. Zum Glück kein Kopfsteinpflaster. Eine ganze Weile geht es geradeaus, doch dann sehe ich sie steil ansteigen. Davon sieht man auf Stadtplänen nichts. Wird schon.
Die anderen scheinen nicht so viel Glück zu haben, eine Gruppe erkundigt sich in einem Restaurant, aus dem gerade die letzten Gäste kommen, wo ihr Hotel sei und biegen von der Hauptstrasse ab. Andere fragen bei einem Polizeiauto, das plötzlich aus einer Seitengasse gekommen ist. Auch sie verlassen die Strasse, am Schluss bin ich allein unterwegs. Kämpfe mich die steile Strasse hinauf, den schweren Koffer hinter mir herziehend. Was wäre, wenn ich ein abgelegenes Hotel gewählt hätte? Es gibt hier in der ganzen Gegend verstreut Unterkünfte.
Endlich stehe ich vor dem Haus. Ich habe Glück, der Hauptplatz ist noch etwas weiter oben, da müsste ich noch höher hinauf steigen. Aber wo ist jetzt die 24-Stunden Rezeption? Zwar ist das Haus von den Strassenlampen beleuchtet, aber es ist geschlossen. Ich klopfe an eine der drei Türen. Es tut sich nichts. Dann auch an die anderen, jetzt etwas härter. Doch an der dicken Holztüre ist das kaum zu hören. Und jetzt?
Ich entdecke einen Schalter. zwischen den beiden Türen. Er sieht zwar aus wie ein Lichtschalter, aber es kann nicht schaden, darauf zu drücken. Tatsächlich höre ich drinnen irgendwo eine tiefes Brummen. Immerhin ist das eine Türglocke, aber ob die jemand hört. Ich warte.
Da kommt jemand auf den Balkon. Ziemlich schlaftrunken: Hola. Ja, Hola, ich bin hier. Ich komme.
Fünf Minuten später bin ich im Zimmer und alles ist in Ordnung. Ausser, dass das Zimmer kein Fenster hat, das man öffnen könnte. Nur eine trübe Scheibe zum Gang. Für den Moment ist das zwar kein Problem, ich werde mich morgen dem Thema annehmen. Für heute bin ich froh, ein Bett zu haben.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
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