Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Beagle-Kanal

Auch heute wieder das gleiche Bild. Ich mache meine obligate Morgentour zu den WU-Agenturen. Unveränderte Lage. Es gibt keine Information, die Büros sind geschlossen. Langsam werde ich nervös. Merke, dass ich mich überhaupt nicht mehr daran freuen kann, dass ich endlich zurück in Ushuaia bin. Mein Traum zerrinnnt langsam. Und dabei wollte ich doch auch die Ausflüge noch einmal machen. Hinaus auf den Beagle-Kanal, zum Leuchtturm und mit dem Zug ans Ende der Welt. Das Ende der Welt ist übrigens hier überall. Alle Attraktionen machen damit Werbung, am Ende der Welt zu sein. Und tatsächlich geht es hier ja nicht mehr weiter.

Auf dem Weg zur Post fallen mir die grossen Baumaschinen auf. Hier wird tatsächlich die Strasse neu asphaltiert. Das Land leidet ja nicht nur an der hohen Inflation, auch die Korruption ist enorm. So ist es erfreulich, dass hier das Geld für den Strassenbau auch tatsächlich da eingesetzt wird. Es wurden die ganz grossen Maschinen aufgefahren und etliche Lastwagen stehen mit Material bereit, das auf der Strasser verteilt werden soll.

Bei der Post das bekannte Bild. Eine Menschenschlange steht an und es geht nur sehr langsam voran. Unglaublich, wie lange die brauchen, um ein Paket entgegen zu nehmen oder eines auszuliefern. Aber ich kann immerhin anstehen. Doch nicht allzu lange. Da kommt auch schon wieder der Postbeamte: "Kein WU-Service!" Und die Schlange der Anstehenden verkürzt sich automatisch, weil sie einige Leute verlassen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur Ausländer oder Touristen sind, auch Einheimische stehen an. Ein Kontakt an diesem Ort ist übrigens sehr schwierig. Jeder schaut für seinen eigenen Vorteil. Keiner würde hier verraten, dass es noch andere Agenturen gibt. Jeder versucht, seine eigenen Information erst einmal für sich selber zu gebrauchen. Ausserdem ist Geld abheben schlicht eine zu persönliche Angelegenheit. Das ist mir seit meinen ersten Versuchen an den Bankautomaten in Buenos Aires bewusst geworden. Im übrigen gibt es eigentlich kaum Bankautomaten hier. Auch das merke ich erst mit der Zeit. Dachte ich zuerst noch, ich hätte sie übersehen, habe ich inzwischen erkannt, dass die Bankautomaten überhaupt ncht mehr existieren. Sie wurden entfernt, sie sind unbrauchbar geworden. Nur noch diejenigen, die in Bankschaltern stehen, sind noch vorhanden.

Bei einem WU-Schalter, den ich erst heute gefunden habe, komme ich übrigens doch noch mit jemandem ins Gespräch. Es ist eine Frau, die hier wohnt. Ich frage sie, wie sie denn zu Bargeld komme. Eigentlich, meint sie, werde hier alles nur noch mit Karte bezahlt. Alles, auch der Kaffee im Restaurant, die kleinen Einkäufe. Allerdings gibt es im Supermarkt eine kleine Lücke. Manchmal fragt die Verkäuferin beim Bezahlen mit der Karte, ob sie Rückgeld wolle. Dann bezahlt sie einen höheren Betrag mit der Karte und bekommt das Rückgeld zurück. Bestimmt mit einer kleinen Einbusse, aber danach habe ich nicht gefragt.

Weil mein Restaurant, wo ich schon einmal zum Frühstück war, heute voll ist und ich auch da schon wieder anstehen müsste, gehe ich in eine Confiserie. Geniesse einen feinen Cappuccino und ein supersusses Dessert.

Danach gehe ich in eines der Reisebüros, die Ausflugstouren verkaufen und buche eine Tour auf den Beagle-Kanal. Versuche, meine Bedenken zu verdrängen und bin schon bald auf einem der grossen Katamarane im Hafen.

Die Fahrt geht hinaus auf den Beagle-Kanal. Der Kanal ist eine natürliche Wasserstrasse, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Gefunden wurde diese Verbindung 1831 mit dem Schiff Beagle von Robert FitzRoy, der mit der Beagle unterwegs war. Auf seiner zweiten Expeditionsreise war auch Charles Darwin dabei. Auf dieser Reise die später auch zu den Galapagos-Inseln führte, erkannte Darwin die Grundlagen seiner Evolutionslehre. Der Kanal ist heute zu einem grossen Teil die Grenze zu Chile. Wenn man die Verhältnisse hier verstehen will, muss man sich immer wieder eine Karte ansehen, die geografischen Gegebenheiten sind hier ziemlich kompliziert.

Interessant ist auch, wie der Name Feuerland entstand. Immerhin gibt es hier weder Vulkane noch sonst irgend etwas, das auf Feuer oder Hitze hinweisen könnte. Im Gegenteil, es ist eine Gegend, wo die Temperaturen auch im Sommer kaum je über 15 Grad steigen. Eine unwirkliche Gegend. Zur Zeit der grossen Seefahrer suchte Magellan einen Durchgang zum Pazifik und 1520 fand er einen breiten Kanal, der später ihm zu Ehren Magellanstrasse genannt wurde. Er erreichte dadurch als Erster den Pazifik, den er dann auch als erster überquerte. Die Entdeckung dieser Wasserstrasse ermöglichte überhaupt erst die Eroberung der Westküste Südamerikas. Die Magellanstrasse bildet heute die nördliche Grenze des argentinieschen Teiles.

Bei ihren nächtlichen Fahrten durch die dunkle Wasserstrasse fielen den Seemännern nachts die Feuer am Ufer auf. Da man noch nichts von den Bewohnern wusste, nannte Magellan das neu entdeckte Land Feuerland.

Eines der kleineren Kreuzfahrtschiffe, die von Ushuaia in die Antarktis starten.

Eines der kleineren Kreuzfahrtschiffe, die von Ushuaia in die Antarktis starten.

Im Beagle-Kanal liegen ein paar Inseln. Wir fahren eine erste kleine Insel an und der Katamaran legt am Kiesufer an. Eine Treppe wird heruntergelassen und wir können aussteigen. "Kleine Wanderung von 20 Minuten", verkündet der Guia und dann stapfen wir hinter ihm her auf einem abgesteckten Pfad.

Als erstes werden wir von braunen menschlichen Figuren begrüsst. So könnte man sich die ersten Bewohner von Feuerland vorstellen. Nackte Menschen, die in dieser Kälte lebten. Fast nicht vorstellbar, aber im Museum von Ushuaia habe ich die Erklärung gefunden. Weil es hier immer kalt und feucht ist und ausserdem täglich regnet, würde Kleidung überhaupt nie trocken. Es ist daher besser, nackt zu sein und sich immer wieder am Feuer zu wärmen, statt in klammen feuchten Kleidern und Fellen zu stecken. Eine einleuchtende Erklärung, die aber trotzdem schaudern lässt. Die Menschen vom Stamm der Yaman oder Yagama waren Nomaden, lebten von der Jagd und vom Fischfang. Sie befuhren mit ihren Einbäumen das Wasser und hausten in einfachen Unterkünften. Das Feuer war dabei ihr ständiger Begleiter.

Interessant ist die Vegetation auf dieser kleinen Insel. Nebst den Gräsern, die im Wind zerzaust werden, gibt es vor allem Flechten. Wenn ich die Flechten allerdings genauer betrachte kann ich erkennen, dass einige eigentlich ganz filigrane Blätter haben und vielleicht eben doch winzige Pflanzen sind.

Auch ein paar Blumen gedeihen hier. Kleine gelbe Blümchen und ein Strauch, der dem Rosmarin ähnlich sieht und weisse Blüten trägt.

Sogar ein paar rote Beeren kann ich erkennen. Der Pfad bis zum Aussichtspunkt ist kurz, wir haben genübend Zeit, uns umzusehen, zu fotografieren, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, die rauhe Seeluft einzuatmen. Die Berge auf der anderen Seite des Ufers gehören zu Chile.

Ein einsamer Aussenposten hisst tapfer die argentinische Flagge. Die Hütte ist selbstverständlich leer. Könnte allenfalls als Schutz für einen vergessenen Passagier durchgehen.

Ein einsamer Aussenposten hisst tapfer die argentinische Flagge. Die Hütte ist selbstverständlich leer. Könnte allenfalls als Schutz für einen vergessenen Passagier durchgehen.

Bald sind wieder alle an Bord und man schätzt die Wärme im grossen Innenbereich des Schiffes. Es gibt einen kleinen Kiosk, wo Chips und Schokolade, sowie Getränke und heisser Kaffe gekauft werden kann.

Als nächstes fahren wir eine Felseninsel an. Hier leben unzählige Kormorane. Und auch wenn sie aussehen, wie Pinguine und sich auch fast so verhalten, indem sie auf dem Felsen herumwatscheln, so sind es eben doch schwarz-weisse Kormorane. Falsche Pinguine, erklärt der Guia.

Ausserdem leben hier Lobos del Mar. Seehunde oder Seelöwen. So genau weiss ich nicht, was der Unterschied ist. Es wird wohl die Grösse sein. Jedenfalls liegen auf den Felsen ein paar Giganten, umgeben von ihrem Harem. Ein Seelöwe ist Familienoberhaupt von bis zu 8 Weibchen und deren Nachkommen. Dabei kann es schon mal zu Machtkämpfen kommen. Vor allem wenn jüngere Tiere anfangen, ihre Rechte zu erkämpfen. Vorwiegend aber scheinen sie auf den Steinen zu dösen. Robben manchmal zum Ufer und lassen sich mit einem eleganten Schwung ins Wasser plumpsen. Dort ist von ihrer Schwerfälligkeit nichts mehr zu sehen. Seelöwen sie äusserst elegante Schwimmer.

Wir umrunden die Insel einmal, das Schiff dreht sich auf alle Seiten, so dass jeder einmal einen guten Blick auf die Tiere bekommt.

Es ist eindrücklich, Tiere in ihrer eigenen Umgebung zu erleben. Ganz egal um welche Tiere es sich handelt.

Der letzte Besuch gilt der Insel mit dem Leuchtturm. Einsam steht er auf dem kleinen Felsen im Wasser unter einem grau bedeckten Himmel. Auch hier umkreisen wir den Turm, damit man ihn von allen Seiten ablichten kann. Der Bordfotograf hat alle Hände voll zu tun, um von allen, die das wünschen ein gutes Foto zu machen. Er macht das recht gut. Braucht ungefähr zwei Meter Brüstung oder eine Ecke des Schiffsgeländers und bringt die Leute ganz schnell dazu, vor seiner Kamera zu posen.

Ich bleibe beim Selfie, bei meiner windgebeutelten Frisur würde auch der Fotograf nicht viel mehr hinbekommen.

Auch die Vögel, die auf diesem Inselchen leben und sich die Füsse in den Bauch stehen, sind Kormorane. Die Pinguinkolonie ist viel weiter weg, das wäre ein Tagesauflug und im Moment über meinem Budget. Immerhin sind sie zur Zeit hier. Im Juni, als ich das letzte mal hier war, hiess es, sie seien zur Zeit in Brasilien in Urlaub. Und tatsächlich machen die Humboldt-Pinguine im Laufe des Jahes lange Reisen um die besten Fischgründe zu besuchen und ihre Jungen aufzuziehen.

Auf der Rückfahrt, entlang dem Ufer des Festlandes, wo man sogar eine paar einsame Häuser sehen kann, sind die beiden Fotografen damit beschäftigt, die Fotos, die sie von den Passagieren gemacht haben, richtig zu verteilen. Wie sie das genau machen, habe ich nicht gesehen, aber ich nehme an, dass sie diese direkt auf die Handys übermitteln. Bis wir zurück im Hafen sind, muss alles erledigt, verteilt und bezahlt sein.

Zurück im Hafen schlendere ich noch ein wenig entlang der Hafenmauer, entdecke ein paar leuchtende Nelken, und danach den windgepeitschten Museumsgarten. Typsche Blumen der Insel ist er beschriftet und zu meinem grossen Erstaunen wachsen da so delikate Pflanzen wie der grosse Mohn. Und jede Menge Lupinen.

Für den Besuch des Museums bin ich zu müde, Ich bummle noch kurz durch die Hauptstrasse und lasse mich danach von einem Taxi nach Hause chauffieren. Hoffe, dass ich morgen endlich Geld organisieren kann, denn so langsam wird es eng. Hunger kommt unter diesen Umständen auch kaum auf und schreiben mag ich schon gar nicht.

Also poste ich ein paar Fotos und höre Schweizer Radio. Game ein wenig, versuche, mich von den aktuellen Problemen abzulenken.

Schmucksteine Argentiiens, ein beliebtes Souvenir.

Schmucksteine Argentiiens, ein beliebtes Souvenir.

Wunderschönes Haus in der Hauptstrasse von Ushuaia

Wunderschönes Haus in der Hauptstrasse von Ushuaia

Der kleine Kiosk in der Nähe meiner Unterkunft verkauft Bier, das kälter ist, als Herz deiner Ex....

Der kleine Kiosk in der Nähe meiner Unterkunft verkauft Bier, das kälter ist, als Herz deiner Ex....

Meine Unterkunft.

Meine Unterkunft.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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