Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Valle Cocora

Auch heute bin ich wieder mit einem Willy unterwegs. Diesmal geht es ins Cocora-Tal, da wo die hohen Palmen wachsen. Ich hatte gelesen, dass man von da aus lange Wanderungen zu Wasserfällen macht, mehr weiss ich eigentlich nicht von dem Ort. Darum vergewissere ich mich bevor ich einsteige, dass ich auch wieder zurück fahren kann und nicht erst stundenlang unterwegs sein muss.

Bin immer wieder überrascht über meine Fantasien udn Vorstellungen, denn selbstverständlich ist die ganze Gegend da bestens touristisch erschlossen und bietet jedem etwas. Ob sportlicher Wanderer oder Bergtouren erprobter Tourist oder faule Seniorin, es gibt für alle ein passendes Angebot.

Doch ich greife vor, zuerst fahre ich mit Wilson, meinem heutigen Chauffer im orangen Willy durch eine sehr schöne Gegend. Es geht bergauf und -ab über holprige Strassen. Wilson will wissen, woher ich komme, und als ich Suiza sage, schmunzelt er hinter seiner Maske: "unsere Kühe kommen aus der Schweiz! Es sind Hohlstein-Kühe."

Und wie auf Kommendo fahren wir kurz darauf an einer Kuhherde vorbei, die es sich im Gras gemütlich gemacht hat.

Natürlich will ich mir das näher ansehen, auch wenn ich von Kühen keine Ahnung habe. Aber immerhin, es sind Schweizer Kühe. Kaffee-Creme-Kühe nenne ich diese schwarz-weissen Tiere. Und sie haben tatsächlich keine Hörner. Ich dachte, das machen nur die Schweizer Bauern mit ihren Tieren, aber Wilson weiss, dass man sie ihnen früh schon mit einem heissen Eisen wegbrennt.

Der Tacho scheint nicht zu funktionieren, aber schnell sind wir nicht unterwegs.

Der Tacho scheint nicht zu funktionieren, aber schnell sind wir nicht unterwegs.

Wir fahren weiter durch ganze Wälder von Avocadopflanungen und erreichen bald unser Ziel, den Parkplatz im Cocora-Tal. Dass hier alles auf Touristen ausgelegt ist, sehe ich schnell. Da gibt es Shops für einen kleinen Snack und farbige Restaurants für das richtige Mittagessen. Dazu Cafés und Souvenirverkäufer.

"Willst du reiten?" fragt mich Wilson. Ich weiss eigentlich nur, dass ich nicht wandern will, aber reiten? Ich brauche einen Moment, bis ich vorsichtig auf die Frage eingehe. Könnte mir die Sache ja mal etwas genauer ansehen. Jedenfalls möchte ich ein richtiges Pferd, kein Pony, eines, dem ich mich zutraue.

So kommt es, dass ich kurze Zeit später auf einem Schimmel sitze. Etwas unsicher zwar, denn Manolo ist tatsächlich sehr hoch und beim Aufsteigen hat mir sein Führer, Jaime eine kleine Treppe hingestellt. Noch bin ich selber überrascht über meinen Mut, aber Jaime beruhigt mich, er wird das Pferd am Saum führen. Na dann, geradeaus wird schon irgendwie gehen. Ich halte mich aufrecht, denke an die Anweisungen, die mir Stella vor vielen Jahren in ihrer Ranch in Paraguay gegeben hat: "In einem südamerikanischen Sattel sitzt du bequem wie in einem Polsterstuhl. Es darf also ohne weiteres wie ein Kartoffelsack aussehen". Ich bin nicht mehr sicher, ob sie das mit dem Kartoffelsack genauso gesagt hat, aber den Sinn habe ich so verstanden.

Geradeaus geht es nicht lange, bald biegen wir rechts in einen kleinen Pfad ab, der in die Höhe geht. Aber das wird doch nicht sein Ernst sein, ich kann doch da nicht bergauf steigen. Und ob ich kann! Der Pfad ist schon ziemlich ausgetrammpelt und voller schwarzem Schlamm, aber Manolo schafft jeden Tritt sicher und ich versuche mich möglichst gut im Sattel zu halten. Bin höchst konzentriert und bringe trotzdem das Grinsen fast nicht mehr aus dem Gesicht. Es ist lange her, dass ich das letzte Mal auf einem Pferd gesessen bin. Eigentlich war es damals ein Shettland-Pony und als die Gruppe mit einem Galopp anfing, ging mein Tier mit und ich, so unbeholfen und überrascht wie ich war, rutschte aus dem Sattel und landete ich Bachbett.

Hätte blöd enden können, aber als Stella mit dem reiterlosen Pony zurück kam, war ich noch immer am Lachen. Aus Freude, dass mit nichts passiert war und aus Scham über meine eigene Blödheit, weil ich mich nicht genügend auf das Tier und das Reiten konzentriert hatte.

Ich stieg tatsächlich noch einmal auf und lernte auf dem Rückweg, wie man ein Pferd zurück halten kann, wenn es wieder galoppieren will, weil das ja seine tägliche Galoppstrecke mit Touristen ist.

Heute allerdings brauche ich keine Bedenken zu haben, Manolo geht so wie es Jaime will und wir sind sehr bedächtig unterwegs. Bergwärts bis zu einem Sammelplatz, wo auch andere Pferde stehen.

Ich soll hier herunter steigen und zu Fuss den Hügel besteigen. Will ich das? Und wie komme ich vom Pferd, und vor allem wieder hinauf? Jaime führt Manolo an ein Bord. "Stütze dich auf meiner Schulter ab und steige mit dem rechten Fuss aus dem Bügel." Hat geklappt, mit etwas zittrigen Beinen stehe ich auf der Erde und nehme tatsächlich den Aufstieg unter die Füsse. Und jetzt erst kann ich mich so richtig umsehen. Ich bin tatsächlich im Land der Wachspalmen. Diese faszinierenden hohen Bäume, die in den Himmel zu ragen scheinen. Bis zu 60 Meter hoch können sie wachsen und bis 200 Jahre alt werden. Eine sehr spezielle Landschaft, die von diesen langen Stangen gestaltet wird.

bis zu 60 Meter ragen die Wachspalmen in den Himmel

bis zu 60 Meter ragen die Wachspalmen in den Himmel

Ganz langsam steige ich auf den Hügel, geniesse jeden Moment, sehe mich um, sehe das Tal, die grünen Wälder und weit unten die Pferde. Oben gucke ich auf meinen Höhenmesser und sehe, dass ich tatsächlich auf 2540 m bin. Und ich kann immer noch atmen, kein Herzrasen oder Luftschnappen trotz der Anstrengung.

Ich breite meine Flügel aus und.... nein, ich setze mich nur auf den Schmetterlingssitz und lasse mich von einem anderen Touristen fotografieren. Geniesse einfach den Augenblick und bin ganz tief innen ziemlich stolz auf mich.

Konnte grad noch abklären, was das für Pflanzen sind. Es ist tatsächlich Papyrus, hatte ihn mit breiteren Blättern in Erinnerung. Jedenfalls sehr schön und dekorativ.

Konnte grad noch abklären, was das für Pflanzen sind. Es ist tatsächlich Papyrus, hatte ihn mit breiteren Blättern in Erinnerung. Jedenfalls sehr schön und dekorativ.

Zurück bei den Pferden hilft mir Jaime in den Sattel und ich bin völlig überrascht, dass das relativ einfach funktioniert. Und dann steigen den steilen Pfad hinunter und ich bin wieder konzentriert und absolut fasziniert. Es geht tatsächlich. Natürlich nennt man das nicht reiten, hochstens, auf einem Pferd sitzen. Aber immerhin kommen wir hinunter und dann geht es noch nicht wieder zum Ausgangspunkt zurück, sondern noch etwas weiter, zu einem Bach mit Wasserfall. Da führt Jaime mich ans andere Ufer und befiehlt dem Pferd, stehen zu bleiben, während er mit meiner Kamera zurück geht. Dort stellt er sich in Position und lockt Manolo, zu ihm her zu kommen. Doch Manolo hat keine Lust, bleibt einfach stehen. Und ich? Soll ich ihm die (nicht vorhandenen) Sporen geben? Soll ich ihn antreiben? Aber wird er dann mit mir davon galoppieren? Ich sags ja, reiten ist das noch lange nicht, nur einfach oben bleiben.

Aber dann kommt Jaime zurück und dann geht auch Manolo wieder über den Bach, während Jaime jetzt doch noch sein Video machen kann. Alles richtig gemacht. Das Video habe ich auf meine Bison-Seite geladen.

Jetzt gehen wir zurück zum Ausgangspunkt, wo ich völlig begeistert vom Pferd steige. Dass ich allein mit Jaime und Manolo unterwegs war, hat mir die nötige Sicherheit gegeben und bestimmt werde ich wieder einmal auf ein Pferd steigen. Andere Touristen sind in Gruppen unterwegs und da sieht man durchwegs die verschiensten Termperamente auf den Pferden. Auch richtig gute Reiter. Für mich war diese Erfahrung genau richtig.

Ich sehe mich noch ein wenig um, was den Touristen alles geboten wird. Verschiedene Fotosujets mit überfüllten Willy's, noch mehr Schmetterlinge zum posieren, einen Fallschirm zum fotografieren, doch mich können höchstens noch die Blumen faszinieren. Die weissen Callas und die luftigen Inkalilien, die ich schon in Peru kennen gelernt hatte. Asteromelien mit der traurigen Geschichte, die mir der Blumenhändler erzählt hatte.

Man könnte auch noch einmal einen Hügel hinauf steigen. Dort oben ragt eine Hand in den Himmel, doch das hatte ich ja schon, heute kann nichts und niemand mein Erlebnis auf dem Pferd mehr toppen.

Schopf-Fackellilien

Schopf-Fackellilien

Calla

Calla

Inkalilie - Astromelien

Inkalilie - Astromelien

Ich brauche jetzt einen Kaffee und steige die farbige Treppe hinauf zu dem Aussichtsrestaurant mit den schönen Fuchsienstöcken. Da oben geniesse ich einen wunderbaren Cappuccino und bin einfach nur glücklich und zufrieden.

Viel später fahre ich mit dem orangen Willy und Wilson zurück nach Saleto. Zufällig war er grad mit einem Auto voller Touristen auf den Platz gefahren, als ich auch dort eintraf. Und weil er bereits mein Privatchauffeur auf der Herfahrt war, muss er nun nicht warten, bis er an der Reihe ist. Die Organisation mit den Transporten scheint bestens zu klappen. Im Laufe der letzten Stunde sind viele Leute hergekommen, ich bin froh, dass ich heute etwas früher als sonst unterwegs war.

Auf dem Rückweg treffen wir auf eine Auto mit einem verzweifelten Paar. Die Frau steht in der Strasse und versucht, jemanden aufzuhalten. Sie müssen das Rad wechseln, aber es fehlt der Schraubenschlüssel.

"Darf ich?" fragt mich Wilson. Aber selbstverstänlich, nicht auszudenken, ich würde hier am Strassenrand stehen mit einem kaputten Rad.

ein kleiner fantastischer Schmuckladen mit Steinen und farbigen Perlen. Alles selber gemacht, versichert mir die Besitzerin.

ein kleiner fantastischer Schmuckladen mit Steinen und farbigen Perlen. Alles selber gemacht, versichert mir die Besitzerin.

Das muss einfach immer wieder sein

Das muss einfach immer wieder sein

Später in Salento schlendere ich noch ein wenig durch die Boutiquen, kaufe in einem kleinen Schmuckladen einen Anhänger mit einem Lebensbaum-Symbol, lasse mir im kleinen Kaffee einen Cappuccino servieren, diesmal mit Bayleys, was ebenfalls fantastisch schmeckt.

Grad bin ich zurück auf der Strasse, als wieder einmal der Regen einsetzt. Er ist diesmal extrem stark und es hilft nichts, sich an die Mauer unter dem Dach zu stellen, ich flüchte in ein Geschäft mit Handarbeiten und schaue mir das vielfältige Angebot an. Die Besitzerin schliesst sogar die Holztüren zu, der Regen würde sonst bis in den Laden spritzen. Es gibt viele sehr schöne Sachen zu kaufen, aber ich habe in meinem Koffer definitiv keinen Platz mehr. Hab auch schon längst erkannt, dass ich viel zu viele Dinge mitschleppe. Aber die Idee war ja, alles was ich noch habe, muss in den Koffer passen. Hätte trotzdem besser ein paar Sachen zu Hause gelassen.

Als ich zurück zum Hotel kommt, gibt da ein Sänger grad ein kleines Konzert im Restaurant. Ich höre ihm noch eine Weile zu und trinke einen Guanabana-Saft. Dann ruhe ich mich im Zimmer eine Weile von diesem wirklich eindrücklichen Tag aus.

Am Abend gehe ich hinauf zum Hauptplatz und lasse mir im Willy-Restaurant ein riesiges Sandwich servieren. Zur Feier des Tages gibt es vorher noch einen Cocktail, eine Margarita mit Erdbeeren.

Nach einer kurzen Runde über den Platz habe ich die nötige Bettschwere, morgen habe ich bereits wieder neue Pläne.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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