Neustart
Cerro Nutibara
Ich habe ein neues Ziel heute. Das Pueblito Paisa soll ein kleines Dorf sein, das als Musterdorf gebaut worden ist. Eigentlich kann ich mir unter der spanischen Erklärung nicht viel vorstellen. Wie soll das gehen, ein eigens aufgebautes Dorf. Mit Kirche und Dorfbrunnen. Ein Touristenort. Aber es ist auf einem Aussichtspunkt. Das spricht für sich. und ausserdem scheint es nicht sehr weit zu sein. 3 Kilometer. Genau richtig für meinen heutigen Spaziergang. Und ausserdem in einer anderen Richtung, als ich bisher gegangen bin. Passt.
Unterwegs kehre ich aber in einer Panaderia ein. HIer gibt es feine Torten und anderes Gebäck. Ich wähle ein Blätterteig-Teil und das wird seinem Namen alle Ehre. Mille-Feulle, Tausend Blätter. Mindestens Und einer feinen Füllung aus Ananas. Und dazu gibt es sogar einen richtigen Cappuccino. Leider wird hier fast alles in Pappbechern und Plastik serviert. Schade.
Der Platz eignet sich bestens, um Leute zu beobachten. Zum Beispiel die Frau, die mit acht Hunden unterwegs ist. Das können unmöglich ihre eigenen Hunde sein. Ob sie eine Hundesitterin ist?
Und dann der Mann, der einen vollen Karren hinter sich her zieht. Gut verpackt hat er viele Plastiksäcke aufgeladen und mit einem Seil zusammen gebunden.
Schon oft sind sie mir aufgefallen, die Leute, die mit solchen Karren unterwegs sind. Schwer scheinen sie trotz ihrer Grösse nicht zu sein, eher unpraktisch. Mir sind schon am ersten Tag auf dem Botero-Platz Leute, meistens Männer, aufgefallen, die Papierkörbe untersucht haben. Sie haben Petflaschen herausgepickt, manchmal auch einfach sonst Plastik. So genau konnte ich das nicht beobachten, aber ich vermute, dass die Leute tatsächlich Plastik sammeln. So können Abfallkübel kaum je voll werden, wenn sie ständig auf Plastik überprüft werden. Was die wohl damit machen, wo die die hinbringen? Meistens sind es wahrscheinlich Venezulaner. Denn irgend etwas müssen sie ja tun, irgendwie müssen sie ein paar Pesos verdienen. Sie sind zwar auch hier im Land geduldet, aber kein Mensch kümmert sich um sie, niemand will wissen, wovon sie leben, wie sie überleben.
Ich bin inzwischen auch mit dem Dieb meines Handys versöhnt. Könnte mir vorstellen, dass auch das ein Venezulaner war. Fast tut es mir leid, dass er damit nichts anfangen kann, denn es ist codiert. Höchstens als Ersatteillager könnte es noch ein paar Soles einbringen.
Überall sehe ich Menschen, die den Müll durchsuchen und irgend etwas heraus fischen, irgend etwas, das für jemanden noch einen Wert haben könnte. Schon am ersten Abend, als ich noch kurz auf die Strass trat, hockten da zwei Männer auf der Strasse und durchsuchten die schwarzen Müllsäcke. Als ich später zurück kam, war der ganze Müll zurück in den Säcken. Verknotet. Ich könnte mir vorsellen, dass die Säcke extra nicht fest verschnürt, sondern nur verknotet werden, so dass sie leicht zu öffnen und zu durchsuchen sind.
Was muss das für ein Leben sein? In einem fremden Land, wo niemand dich will und sich niemand kümmert, und doch musst du irgendwie überleben. Sie werden wohl weiter ziehen. Durch Ecuador, durch Peru. Auf der Suche nach dem Glück, das nirgends auf sie wartet.
Auffällig in dieser Stadt sind auch die vielen Gebäude, die mit roten Backsteinen gebaut sind. Das können hohe oder niedrige Hàuser sein. Moderne mit schönen Eingangsportalen oder ganz einfache einstöckige. Backsteine scheinen seit jeher der bevorzugte Baustoff zu sein. Und ausserdem sind die meisten Häuser fertig gebaut. Medellin ist tatsächlich eine sehr schöne und gepflegte Stadt. Mit breiten mehrspurigen Avenidas und schmalen Wohn-Strassen, in denen der Verkehr einspurig geführt wird. Es gibt Lichtsignale und Fussgängerstreifen. Wobei die Fussgängerstreifen nur die Bedeutung haben, dass man hier die Strasse überqueren kann, von Vortritt ist nicht die Rede. Es ist auch immer gut, in alle Richtungen zu sehen, auch wenn man als Fussgänger grün hat. Kann ja sein, dass ein Auto abschwenkt. Das muss man unbedingt beachten.
Es ist auch nicht falsch, auf den Boden zu gucken, denn natürlich gibt es auch hier viele Unebenheiten, und auch wieder fehlende Kanaldeckel, oder wenigstens schräg hingelegt oder tiefer gelegte. Es lohnt sich aber auch sonst, auf den Boden zu schauen. Mir fallen die schönen Trottoirs auf. Nicht überall, meinstens nur so breit wie das Haus ist oder überhaupt nur beim Eingang, bei der Garageneinfahrt. Und auch hier wieder viele Backsteine.
An meinem Weg finde ich auch immer wieder interessante Blumen. Manchmal sogar welche, die ich noch nie gesehen habe. So wie die Korallen-Purgiernuss. Ich gehe ganz nahe an den Busch heran, weil ich sie fotografieren will und irritiere damit einen Mann, der vor einem Haus sein Auto putzt. Als er sieht, dass ich ihm nur wegen den Blumen so nahe komme, lacht er. Was der wohl gedacht hat?
Das Pueblo Paisa steht auf einem Hügel. Es gibt eine Strasse und einen Wanderweg, die hinauf führen. Ich nehme an, dass er nicht sehr hoch ist und entscheide mich für den Wanderweg. Komme aber schon ziemlich bald ausser Atem und muss immer wieder stehen bleiben. Da ist es eigentlich ganz praktisch, dass es jetzt anfängt zu regnen. Das heisst, praktisch ist vor allem, dass es überall runde Unterstände mit Sitzen gibt. So kann ich mich richtig ausruhen, wieder zu Kräften kommen. Warum ich so Mühe habe, sobald es hinauf geht, weiss ich seit kurzem. Meine Ärztin hat bei einem Untersuch vor meiner Abreise eine etwas verminderte Lungenfunktion festgestellt. Seit ich das weiss, spüre ich noch schneller, wie ich ausser Atem komme und dass mir das Herz fast aus dem Brustkorb springen will. Ich weiss jetzt aber auch, dass ich mich gar nicht zu stark diesen Belastungen aussetzen soll und versuche, Steigungen aus dem Weg zu gehen.
Warum ich das hier erwähne? Ich weiss natürlich, dass die Leser sich fragen, warum ich so schnell nicht mehr mag und was für ein Weichei ich bin, wenn ich schon beim Start einer Wanderung sorgfältig auf Steigungen achte. Allein und ganz langsam schaffe ich aber den Aufstieg und komme nach dem Regen ganz entspannt, aber ziemlich durchnässt oben an. Sind ja auch nur 80 Höhenmeter, wie ich später feststelle.
Zwar könnte die Sicht besser sein, aber unter den Wolken zeigt sich oben trotzdem eine riesige Stadt, die sich bis hinauf zu den Berghängen zieht. Es gibt viele Hochhäuser überall in der Stadt verteilt. Sogar auf den Hängen hat es Hochhäuser. Die Sicht da oben muss überwältigend sein.
Ich besuche noch das Museum mit dem grossen Modell der Stadt und gehe dann auf den Dorfplatz. Ein künstliches Dorf sei es, habe ich gelesen. Viele Bestandteile, wie die Türe der Kirche wurden von anderen Dörfern zusammen gesammelt. Es gibt eigentlich nur einen Platz mit einem Brunnen und einer kleinen Kirche. Dazu ein Restaurant mit einer schönen Terrasse mit Blick auf den Platz. Dahinter gibt es eine zweite Reihe von Häusern, mit farbig bemalten Türen und Fensterläden. Alle Farben des Regenbogens sind vertreten. Bestimmt verstecken sich hinter all den Türen kleine Handarbeitsläden. Jetzt sind nur ganz wenige offen und sie verkaufen die üblichen Souvenirs. Ich setze mich eine Weile auf eine Bank, sehe den Leuten zu, die sich vor der schönen Kulisse fotografieren.
Natürlich mache auch ich mich jetzt auf die Suche nach einem guten Sujet. Vor allem will ich meine Glaskugel wieder einmal einsetzen. Sie hat bisher ein vernachlässigtes Dasein im Rucksack gefristet. Ich habe sie einfach vergessen. Aber heute morgen wurde sie in die Handtasche umquartiert. Und wenn ich sie schon mitgeschleppt habe, soll sie jetzt auch in den Einsatz kommen.
Die Strassenkünstlerin vor ein paar Tagen hat mich daran erinnert, dass ich meine Glaskugel auch dabei habe.
So ein Strassenschild habe ich noch nie gesehen. Es warnt vor Fuchs-Hund
Aber Google weiss wieder einmal mehr darüber:
Der Maikong auch Krabbenfuchs, ist der häufigste Wildhund Südamerikas. Er ist über weite Teile Südamerikas östlich der Anden und nördlich Patagoniens verbreitet
Als noch einmal ein Regenschauer niedergeht, gehe ich ins Restaurant, lasse mir auf der Terrasse eine feine Tomatensuppe servieren. Sie hat Stücke von Avocados darin, was sie ganz besonders exklusiv macht.
Dann ist es Zeit für die Rückkehr. Eigentlich wollte ich zu Fuss zurück, aber auf dem Rückweg fängt es ein drittes Mal an zu regnen und weil grad ein leeres gelbes Taxi vom Berg herunter fährt, lasse ich mich nach Hause fahren, denn ich will nicht noch einmal durchnässt werden. Der Regenschutz ist selbstverständlich auch im Rucksack.
Später am Abend gehe ich in das kleine italienische Restaurant Pomo d'oro, das nur einen Block von meiner Wohnung entfernt ist und bin völlig überrascht, wie gut das ist. Ich esse Canneloni mit Spinat und Käsefüllung. Dazu ein Glas Rotwein. Er ist etwas süsslich, aber er bringt mir die nötige Bettschwere.
Der Cappuccino ist dann eher ein süsses Dessert, schmeckt aber auch sehr gut. Ich werde bestimmt wieder herkommen und die restliche Speisekarte ausprobieren.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
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