Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Rückfahrt

Mein Frühstück: Rührei mit Pommes

Mein Frühstück: Rührei mit Pommes

Die Nacht war ruhig, die Tiere scheinen ihre Rangordnungen für den Moment geklärt zu haben. Nur die Hähne begannen schon lange vor Sonnenaufgang mit ihrem Frühkonzert.

Heute werden wir zurück fahren, unser Boot soll um elf Uhr kommen. Ausserdem findet heute eine Dorfversammlung statt, per Lautsprecher werden die Leute eingeladen um acht im Gemeindehaus zu erscheinen. "Das ist peruanische Zeit, das wird nicht vor neun Uhr anfangen", schmunzelt Liborio. "Wahrscheinlich werden wir später dazu eingeladen."

Mein heutiges Frühstück ist richtig fein: Rührei mit Tomaten, dazu frische Pommes.

"Was hast du in der Nacht in deinem Tablet gemacht, fragt mich Belen. "Das ist kein Tablet, das ist ein elektronisches Buch. Ich habe gelesen". Das will sie sehen und ich erkläre ihr, wie ich mit diesem kleinen Gerät ganz viele Bücher mitnehmen und jederzeit lesen kann. Für die Kinder bin ich mindestens so interessant, wie sie für mich. Ich bringe eine unbekannte Welt zu ihnen ins Haus und natürlich beobachten sie mich genau. So ist es nicht erstaunlich, dass Luz mich fragt, wann ich mich denn waschen würde. Natürlich hat sie bemerkt, dass ich gestern nicht mit ihnen zum Fluss gegangen bin. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich mich nicht gewohnt bin, im Fluss zu baden, dafür aber heute in Pebas im Hotel duschen werde.

Dann wollen sie mein Handy sehen, wollen sehen, was ich bisher fotografiert habe. Ganz genau wollen sie wissen, was das alles ist. All die vielen Aufnahmen von Lima. Äusserst spannend finden sie auch mein Haus. Leider ist das die einzige Aufnahme aus der Schweiz, ich lösche meine Fotos regelmässig und übertrage sie auf den Laptop und von dort auf einen externen Harddisk. Hätte vielleicht ein paar Bilder von schneebedeckten Bergen und kristallklaren Seen mitbringen sollen, denn eigentlich weiss ich es, dass diese Bilder aus einer fremden Welt sehr spannend sind.

Jedenfalls sind wir eine ganze Weile beschäftigt und ich gehe im Schnelldurchlauch noch einmal die ganzen vergangenen Wochen durch.

Übrigens sind alle hier zweisprachig. Untereinander wird viel Bora gesprochen. Das ist eine ganz eigene Sprache. Man kann aber jederzeit zu Spanisch switchen. Das hat man in der Schule gelernt und schon die Kinder beherrschen beide Sprachen problemlos, verwenden sie übergangslos, so wie es grad passt.

Eine glückliche Familie: Mama Lyvia, Luz, Papa Juan, Juan jr, Belen

Eine glückliche Familie: Mama Lyvia, Luz, Papa Juan, Juan jr, Belen

Der Umgang mit einem Handy ist nicht völlig unbekannt. Die Familie hat ein eigenes, das zwar nur in Pebas zur Telefonieren gebraucht werden kann, aber die Kinder benutzen es gern zum Spielen. Aufgeladen wird es jeweils am Abend, wenn es für ein paar Stunden Strom gibt. Dann läuft auch mal der Fernseher im anderen Raum. Allerdings nicht direkt, sondern mit Videos. Gestern abend hat sich die Familie zum Beispiel ein griechisches Heldendrama angesehen, während bei mir in der Küche die Deckenlampe direkt in mein Gesicht schien. Ich glaube, die Lampen werden gar nicht extra ausgeschalten, sie stellen von selber ab, wenn der Strom wieder weg ist.

Während die Kinder meine Fotos durchgehen, bereitet Lyvia einen Sud für ihren Bast vor. Sie hat Blätter in einen Topf mit kaltem Wasser gegeben und zerreisst darin frische Blätter. Dazu reisst und quetscht sie die Blätter ausgiebig. Ob sie diese nicht mit der Machete zerkleinern könnte, will ich wissen, aber sie winkt ab, die müssen von Hand zerrieben und verkleinert werden. Danach legt sie ein Bündel bereits gesponnene Schnüre hinein, die sie aus dem getrockneten Palmbast gedreht hat. Gestern hat sie mit anderen Blättern einen Sud für die braunen Schnüre angesetzt. Sie zeigt mir, wie sie die fertigen Schnüre zu Hängematten verarbeitet.

Die fertigen Arbeiten werden dann auf dem Markt verkauft. Bis zu 100 Soles bekommt sie für eine Hängematte. Es gibt Händler, die die Sachen aus dem Dorf mitnehmen und in Iquitos verkaufen, Im Moment ist der Handel allerdings sehr beschränkt, die Pandemie hat ihn zum Erliegen gebracht.

"Wie war das während der Pandemie, wart ihr hier auch in Quarantäne?" will ich wissen, denn Peru hatte sehr strenge Vorschriften. "Ja, natürlich, wir mussten im Haus bleiben, wurden von Soldaten kontrolliert, denn in der Nähe gibt es einen Stützpunkt. Wer aus hinaus wollte, wurde unzimperlich zurück ins Haus gedrängt. Das konnte auch mal Prügel absetzen, wenn man sich widersetzte". Später durfte man auf die Äcker zum Arbeiten gehen, aber nur streng limitiert, jeweils eine Person pro Haushalt. Viele Menschen hier waren krank, ein paar sind gestorben. Man hat sich mit natürlicher Medizin versucht zu heilen oder die Abwehrkräfte zu stärken. Überall höre ich davon, vom Sud aus Blättern, Knoblauch, Ingwer, Peperoni und Zitronen, den man getrunken hat.

Damit wird der Bast rot gefärbt

Damit wird der Bast rot gefärbt

Rosa mit einer ihrer Tanten

Rosa mit einer ihrer Tanten

Ein Bananenshake entsteht.

Ein Bananenshake entsteht.

Das hat sie sich verdient. Lyvia beim Mittagessen.

Das hat sie sich verdient. Lyvia beim Mittagessen.

Plötzlich werden wir bei unserem Gespräch unterbrochen, ein junger Mann kommt zur Tür herein, lässt seine Last, die er sich auf den Rücken gebunden hatte, auf den Boden fallen und ist gleich wieder weg, hinunter zum Fluss um sich zu waschen.

Es ist Evisto, der älteste Sohn der Familie. Drei Tage war er mit seinem Grossvater auf der Jagd. Draussen im Dschungel. Ausgerüstet mit Machete und Gewehr und einen kleinen Rucksack mit den allerwichtigsten Dingen. Drei Tage ohne dass die Familie wusste, wo die beiden waren und wann sie zurück kommen. Sie waren erfolgreich. Ein Venano, ein rehähnliches Tier haben sie geschossen, ausgenommen und nach Hause gebracht. Fünf Stunden war der Junge mit den 18 Kilogramm auf dem Rücken unterwegs, seit er es im Dschungel ausgeweidet und mit Palmwedeln zusammen gebunden hat.

Lyvia macht sich sofort daran, das Fleisch zu untersuchen, Grossmutter Victoria ist auch schon da, um sich ihren Anteil zu holen, auch ihr Mann ist soeben völlig erschöpft nach Hause gekommen. Und Rosa ist völlig fasziniert, erkundigt sich nach dem Preis, will unbedingt etwas Dschunglfleisch mit nach Hause nehmen. "Für meinen Gordo", schwärmt sie.

Die erfolgreiche Jagd bedeutet eine Aufwertung des Speisezettels und etwas Geld in die Kasse, denn ein Teil wird in der Comunidad verkauft.

Dschungelfleisch, frisch angeliefert

Dschungelfleisch, frisch angeliefert

Evisto, der erfolgreiche Jäger, gerade mal 18 Jahre alt

Evisto, der erfolgreiche Jäger, gerade mal 18 Jahre alt

Abuelita Victoria holt sich ihren Anteil

Abuelita Victoria holt sich ihren Anteil

Rosa sichert sich zwei Kilogramm für ihren 'Gordo'

Rosa sichert sich zwei Kilogramm für ihren 'Gordo'

Wir sollen zur Versammlung kommen, ein junger Mann steht in der Türe, lädt uns ein, mitzukommen.

Im Gemeindehaus sitzen die Leute, die Versammlung scheint schon länger zu dauern. Vorne steht eine Frau, sie ist die Präsidentin. Daneben ein Tisch mit einem jungen Mann, der das Protokoll führt. Wir werden kurz vorgestellt, sollen uns dann auch noch persönlich präsentieren und dann werden unsere Geschenke gebracht und vorne an der Bühne ausgelegt. Und dann beginnt das Verteilen. Ein paar Frauen übernehmen die Organisation, sehen rasch, was da ist und stellen kleine Pakete zusammen. Die Präsidentin verteilt unterdessen zum Auftackt den Sack voller Lutschbonbons. Die kommen ganz besonders gut an, auch bei Erwachsenen, denn Zucker ist hier eher eine Seltenheit.

Vom grossen Sack Reis bekommt jeder ein paar Messbecher voll, das Oel wird in Plastiksäcke umgeschüttet, damit jeder gleichviel bekommt. Dann gibt es Teigwarn, Salz, Maismehl, WC-Papier und für jede Familie eine Seife.

Ich staune, wie diszipliniert der Ablauf ist, man bleibt sitzen, wartet bis man an der Reihe ist und holt dann seine Sachen ab. Niemand hinterfragt, ob jeder gleichviel bekommt, ob niemand mehr bekommt. Ich benutze die Gelegenheit, versuche mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, mache Fotos, die ich dann auch zeige und bei Nichtgefallen auch gleich wieder lösche. Dabei kommt es zu einer lustigen Szene, als ich einen Mann frage, ob er mir vielleicht ein Lächeln schenken könnte. Er sieht mich durchwegs freundlich an, setzt sich in Pose, aber er bleibt stumm und verschlossen. Bis mir seine Frau sagt, er hätte eben den Mund voller Cocapulver, er kann jetzt nicht lächeln. Dafür sind die Frauen offen und fröhlich.

Ich frage nach der Impfung und bin äusserst überrascht zu hören, dass ein grosser Teil der Leute bereits beide Impfungen hinter sich hat. Vor ein paar Wochen kamen Volontäre ins Dorf. haben die Leute registriert und geimpft. Einige waren auch in Pebas. An die Zeit der Pandemie will niemand zurück denken, die Zukunft ist wichtig. Und so frage ich denn auch nicht weiter, sondern beantworte meinerseits die Fragen nach meinem Woher und warum. Ich soll gern wieder kommen, meint Eli, der mich bei unserer Ankunft noch etwas skeptisch betrachtet hatte, am besten monatlich.

Noch während die Versammlung aufgelöst wird, gehen wir ans Flussufer, eigentlich sollte unser Boot längst da sein, das uns zurück nach Pebas bringt. Der Bootsführer scheint Verspätung zu haben. Anrufen geht nicht, es gibt kein Signal.

Plötzlich kommt Rosa lachend vom Dorf her gelaufen, schwenkt ein Papier in der Hand und jubelt: "ich kann heiraten, endlich kann ich heiraten!" Sie hat ihre Geburtsurkunde bekommen und kann nach 23 Jahren Zusammenleben mit ihrem Gordo und 6 gemeinsamen Kindern endlich offiziell heiraten. Sie ist überglücklich.

Ich hatte mich eigentlich auf die gemütliche Rückfahrt in der Hängematte gefreut, doch unser Boot ist noch immer nicht hier, und es ist inzwischen Mittag. Nachdem wir eine Weile etwas ratlos dastehen, schlägt der alte Grossvater, der erst vor ein paar Stunden aus dem Dschungel zurück gekommen ist, vor, dass wir mit ihm fahren könnten. Er will heute sowieso noch nach Pebas fahren, er kann uns ein Stück weit mitnehmen, wenigstens bis unser Boot kommt, denn die Zeit drängt langsam, es ist eine lange Fahrt.

Kurz und herzlich ist der Abschied von der Familie. "Wann kommst du wieder, du bist jederzeit herzlich willkommen bei uns", gibt mir Juan mit auf den Weg, bevor wir einsteigen.

Ich bezweifle zwar, wie wir alle in dem kleinen Boot Platz haben sollen, aber schon bald sind wir startklar. Hinten am Steuer sitzt Abuelito, die niedrige Bank teilen sich seine Frau Victoria und eine Nichte mit ihrem Baby. Davor sitze ich am Boden. Und dabei hasse ich es doch, auf dem Boden zu sitzen, weiss nie, wohin mit den Beinen. Doch für eine kurze Strecke muss es gehen. Vor mir hockt Rosa auf der grossen Tasche mit dem Fleisch und ihrem Gepäck und vorne sitzt Liborio im Bug. Es kann losgehen.

Nebst all unserem Geäck finden auch noch drei grosse Bananenstrauden Platz im Boot, Vom Bootsrand bleiben nur wenige Zentimeter bis zur Wasseroberfläche. Doch das ist hier völlig normal, hier liegen alle Boote so tief im Wasser.

Glückliche Rosa

Glückliche Rosa

eine Handbreit...

eine Handbreit...

Wir fahren los, und hinter jeder Kurve erwarte ich, dass uns unser Boot entgegenkommt, doch diese Hoffnung schwindet mit jeder Biegung. Unserem Bootsführer muss etwas dazwischen gekommen sein. Gut haben wir die Gelegenheit genutzt, mit Abuelito mitzufahren. Der Wasserspiegel des Flusses senkt sich jetzt mit jedem Tag und es ist gut möglich, dass man schon morgen das Dorf nicht mehr per Boot erreichen kann.

Unser Motor ist viel schwächer, unsere Last höher, wir werden wohl viel länger brauchen, als die fünf Stunden von unsere Herweg. Auch wenn wir jetzt Flussabwärts fahren, Strömung ist auf diesem austrocknenden Fluss keine vorhanden.

Abuelita Victoria interessiert sich für meine Kamera, wahrscheinlich haben ihr die Kinder davon erzählt. Und so verbringen wir die Zeit mit dem Betrachten der Fotos. Sie will genau wissen, was sie da sieht. Wer Juan ist, warum wir so viel gemeinsam unternommen haben. Bei der Foto mit seiner Familie betrachtet sie die Eltern ganz genau. Wer weiss, was da in ihrem Kopf abgeht. Doch sie ist eine sehr humorvolle alte Frau. "Jetzt hab ich doch tatsächlich vergessen, meine schönen Kleider mitzunehmen für die Stadt", seufzt sie und als Liborio den alten Mann foppt, dass er doch nur nach Pebas fahre, um die jungen Mädchen zu sehen, meint sie. "Die Krankheit der alten Männer!"

Es wird also eine unterhaltsame Fahrt und auch wenn ich sehr unbequem sitze und meine Beine immer wieder in eine andere Stellung bringe, vergehen die Stunden trotzdem wie im Flug. Auch wenn ich kaum fotografieren kann, weil das Betrachten der gespeicherten Bilder Vorrang hat, kann ich trotzdem die Gegend geniessen. Den Reiher, der uns eine Zeitlang voraus fliegt, die vielen Eisvögel am Ufer, die winzigen schillernden Vögel und manchmal einen farbigen Schmetterling, der sich bis zu unserem Boot hinauswagt.

Wir wähnen uns schon bald am Ziel, als wir bei einem Fischer vorbei kommen, der soeben einen grossen Fisch aus seinem Netz holt, da schreit Rosa plötzlich; halt, drehen. Abuelito macht einen Schwenker und wir fahren zurück zum Fischer. Rasch ist der Handel abgeschlossen, vier grosse Fische landen in unserem Boot und 20 Soles wechseln den Besitzer, dann fahren wir weiter. Einen so schnellen Kauf habe ich noch selten gesehen. Doch Rosa ist in Euphorie. Kurz danach ruft sie ein Boot, das auf der anderen Flussseite deutlich schneller als wir unterwegs ist zu uns und lädt sich selber ein, mit dem anderen Boot weiter zu fahren. Sie und Abuelita steigen um, wodurch unsere Last sich deutlich verbessert.

Trotzdem dauert es noch über eine Stunde, es ist schon stockdunkel und jetzt ist es an Liborio, das Wasser vor dem Bug mit seiner Lampe auszuleuchten, als wir nach sieben Uhr in Pebas eintreffen.

Nur noch mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken mit schwabbeligen Beinen nach der siebenstündigen Fahrt über die schwankenden Bretter und hinauf auf die steile Treppe, dann ist es geschafft.

Nur noch mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken mit schwabbeligen Beinen nach der siebenstündigen Fahrt über die schwankenden Bretter und hinauf auf die steile Treppe, dann ist es geschafft.

Ich brauche jetzt nur noch eine Dusche und ein Bett. Rosa und Liborio suchen noch einen Essensstand und Abuelito und Abuela übernachten zusammen mit ihrer Nichte und dem Baby im Hafen. Wie die junge Frau die ganze Zeit ihr Baby auf dem Arm halten konnte und wie es Abuelito geschafft hat, trotz seiner schmerzhaften Hüfte die sieben Stunden am Steuer zu sitzen, ist mir schleierhaft. Nur einmal während der Fahrt, hat er den Motor abgestellt, eine kleine Pause eingelegt. "Ich muss meine Medizin nehmen", hatte er gesagt bevor er das Steuer wieder in die Hand genommen hat.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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