Mein Reisetagebuch
Puerto Yungay - Villa O'Higgins: Zeitvertreib
25.2.12, Villa O'Higgins
6.00 Uhr morgens krabbelte ich mit einiger Überwindung aus meinem Schlafsack. Unser Feuer ist in der Nacht erloschen. Nun hatte also die Kälte Überhand genommen und lies den Raum in einen Kühlschrank verwandeln. Kurzerhand entschied ich mich gegen eine Dusche, zog mich warm an und kochte Wasser für unseren Tee auf. Ich bereitete unser Frühstück vor und rief Kevin aus dem Schlafsack.
In der Nacht hatte es stark geregnet und auch bei unserem gemeinsamen Morgenessen hörten wir die Regentropfen auf das Dach klopfen. Wir bereiteten uns also mental auf einen langen und nassen Trekk vor. Die letzten Sachen vorbereitend, stand plötzlich Herr Fuentes vor der Türe. Ich nahm an, er wollte bereits etwas früher losgehen und käme uns daher abholen. Doch falsch gedacht. Mit den 30'000 Pesos von Kevin in den Händen, kam er auf uns zu und meinte, er könne uns nicht mitnehmen. Er habe gestern Abend einen Anruf von der Marine bekommen, mit der Information, das Boot werde auf die Anzahl Passagiere kontrolliert. Da er mit uns eine Person zu viel an Bord hätte, könne er uns nicht beide mitnehmen. Wir waren total perplex, da wir doch bereits alles vorbereitet und mit der Überfahrt gerechnet hatten. Immerhin bot er uns an, nächste Woche für den halben Preis mitzunehmen.
Als er gegangen war, sassen wir niedergeschlagen am Esstisch. Dass wir eine ganze Woche in Villa O'Higgins festzusitzen würden, hätten wir nicht gedacht. Ich versuchte Kevin davon zu überzeugen, alleine weiter zu reisen. Mir spielte es grundsätzlich keine Rolle eine Woche rumzusitzen, doch Kevin langweilt sich super schnell und muss ausserdem schauen, dass ihm die finanziellen Mittel ausreichen. Seine Moralvorstellungen liessen es dann aber nicht zu, alleine auf das Schiff zu steigen. Ich war nicht ganz unglücklich, nicht alleine zurück zu bleiben. Betreffend Geld, sassen wir dann doch etwas in der Patsche. In Villa O'Higgins gibt es keinen Geldautomaten. So mussten wir mit unserem restlichen Geld auskommen um alle Kosten decken zu können.
Wir mussten schlussendlich ganze 11 Tage warten, bis wir den See überqueren konnten. Die Überfahrt konnte nur mit mind. 15 Personen durchgeführt werden. Da wegen den Protesten kaum mehr Autos fahren, war dies kein Einfaches unterfangen. Täglich verfolgten wir den Verlauf der Proteste und hofften, dass die Strassenblockaden bald wieder aufgelöst würden, so dass Benzin, Gas und Nahrungsmittel in die Region gebracht werden konnte. Die Demonstranten forderten jedoch extrem viel, was zu langwierigen Gesprächen führte.
- Sie wollen die Strassen in Patagonien verbessert haben. Extrem viele Leute benutzen diese (unter anderen viele Touristen), doch obwohl sie bereits 12 Jahre besteht, ist es immer noch eine Schotterpiste.
- Die Gesundheitsversorgung hat grosse Defizite. Oft mangelt es an Ärzten und Spezialisten.
- Die Lebenserhaltungskosten sind zum Teil doppelt bis dreifach so hoch wie in anderen Teilen Chiles. Die Löhne und Pensionen wurden aber nicht entsprechend angepasst. Deshalb fordern sie nun eine Senkung der Nahrungsmittelpreise, Gas und Benzin und eine Regelung des Mindestlohnes.
- Und zum guten Schluss will ein Elektrokonzern 5 Wasserkraftwerke in Patagonien erstellen. Dies führt zu einer Überschwemmung von x Hektaren Wäldern und die Zerstörung dieser Fauna und Flora. Der Witz dabei: die Energie wird für den Norden (Santiago) gewonnen. In Patagonien haben sie genügend Strom.
Schlussendlich kamen regelmässig Velo-Reisende an, welche mit uns auf genügend Personen warteten. Wir bekamen regelmässig Besuch von anderen Wartenden. Mit dem Spanier Alexis und dem französischen Pärchen Suzan und Pierre tauschten wir uns täglich aus und tranken eine Tasse Tee zusammen.
Nach 8 Tagen kam eine Gruppe Velofahrer aus Franzosen und Amerika an, welche das Boot füllten. Dummerweise spielte nun aber das Wetter nicht mehr mit. Wir wurden auf Abruf bereitgehalten und bekamen von Vormittag zu Abend und Abend zu Vormittag Infos ob wir loslegen konnten. Nach einem Fehlalarm - wo die Hälfte der Velofahrer bereits am Hafen stand - waren wir alle nicht mehr sehr optimistisch und konnten den Worten Fuentes keinen Glauben mehr schenken.
Unsere Tage waren lang aber aushaltbar. Wir hatten leider oft schlechtes Wetter und verkrochen uns ins Campinghaus. Oft sassen wir am Computer, kochten/backten, lasen oder schauten Filme.
An einem schönen Tag stiegen wir auf den Aussichtspunkt und hatten einen tollen Blick auf den See und das Dorf Villa O'Higgins.
Wir hatten grosses Glück mit unserer Campingauswahl. Die Inhaber waren super hilfsbereit und verständnisvoll. Sie liehen uns eine Luftmatratze und Decken, dass wir nicht auf dem kalten Steinboden schlafen mussten und versorgten uns mit genügend Holz zum anfeuern. Als wir nach 10 Tagen dann doch an den Punkt kamen, wo unser Geld knapp wurde, schenkten sie uns zwei Übernachtungen. Eines Tages luden sie uns zudem dazu ein, bei einer Pferdeschlachtung zuzusehen. Obwohl es sich makaber anhörte, stimmten wir beide zu:
26.02.12, Pferdeschlachtung
Wir stellten den Wecker um 9.00 Uhr, um genug Zeit zu haben in Ruhe zu frühstücken und zu duschen, bis es mit Rodolfo zu den Pferden ging. Erstaunlicherweise kam die ganze Familie mit. So bestand die Gruppe aus 3 Kindern zwischen 3 und 9 Jahre, 3 Herren, 2 Frauen und wir zwei Touristen. Zu dritt trieben sie die Pferde in die Enge. Der älteste der Herren warf elegant und erfolgreich sein Laso auf das gewünschte Pferd. Er hielt das Seil stramm um die Ecke eines Baumes und bekam sogleich die Hilfe der anderen beiden Männer. Als sie das Pferd im Zaum hatten, liessen sie die nahe gelegene Türe öffnen und das Pferd heraus spazieren. An einem anderen Baum befestigt, wurde nicht lange gewartet. Der jüngste Herr zog sein Messer und stach mit einer gekonnten Bewegung in die Halsschlagader des Hengstes. Das Blut strömte aus der Ader und lies das Pferd verständlicherweise sofort zusammenschrecken. Weitere 2x stach der Mann zu, was das Blut noch heftiger hinausfliessen lies. Ab da wurde gewartet... Das Pferd reagierte immer langsamer und atmete von Sekunde zu Sekunde schneller, heftiger und mühsamer. Wir warteten insgesamt 10 lange Minuten bis das Pferd erschöpft zusammen sank und am Boden liegend seine letzten Atemzüge nahm. Ich bin anfangs eigentlich davon ausgegangen, dass man das Tier mit einem Schnitt innerhalb einiger Sekunden tötet. Dem entsprechend schockiert war ich, als wir ewig lange zusehen mussten wie das Pferd litt und um sein Leben kämpfte. Ich konnte mir die Tränen nicht verhalten und betete, dass er bald erlöst wird. Die Familie schaute der ganzen Zeremonie unbeeindruckt zu. Sie machten Witze, lachten und sahen dem Spektakel zu, als sei es das gewöhnlichste der Welt, ein Pferd sterben zu sehen. So fanden sie es auch super amüsant, wie ich um das Pferd weinte. Später bekam ich erklärt, dass das Tier ausgeblutet werden muss um eine bessere Qualität des Fleisches zu erhalten.
Als das Pferd leblos am Boden lag, wurde auch sogleich begonnen, das Fell abzuziehen. Danach wurde feinsäuberlich das Fett entfernt und der Kadaver in Stücke geschnitten. Als alles Essbare abgeschnitten war, wurde das Tier umgedreht. Dort fing das ganze Prozedere von vorne an. Die zerlegten Stücke wurden vorübergehend an den umliegenden Ästen aufgehängt. Nach 1,5 Stunden waren nur noch die Innereien übrig, welchen den wartenden Hunden hingelegt wurden. Das Fleisch wurde auf eine Plache in das Auto gelegt. Kevin half beim abhängen und trug das Fleisch zum Auto. Daraufhin meinte er: "das Fleisch ist immer noch warm....". Ich war dann doch froh, hatte die ganze Schlachterei ein Ende genommen. Laut der Campinginhaberin werde nur selten ein Pferd geschlachtet (ca. 1x im Winter). Viel öfter würden Kühe getötet: im Winter etwa alle 10 Tage.
Zurück beim Camping wurden wir gefragt, ob wir denn nun immer noch Fleisch essen würden. Obwohl ich einen Moment lang daran gedacht habe, ob es wohl besser sei Vegetarierin zu werden, könnte ich wohl nicht auf ein Steak oder einer feinen Bolognese verzichten. Wir bejahten und meinten, es sei aber eine durchaus gute Erfahrung gewesen zu sehen woher das Fleisch kommt. Kurz darauf kam Rodolfo mit einem super grossen Stück Fleisch (ca. 1 kg) zurück, welches er uns schenkte. Es war schon etwas komisch, plötzlich das Fleisch, von einem Tier was wir vormittags noch herumspringen sahen, in den Händen zu halten. Wir nahmen es dankend an und überwanden uns tatsächlich am Abend ein Stück davon zu probieren.
Aufbruch: | 21.07.2011 |
Dauer: | 10 Monate |
Heimkehr: | 25.05.2012 |
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